Jones, Diana Wynne
musste – oder gegen Wend.
Draußen auf dem Bleidach landeten die Tauben, hoben wieder ab und kreisten voll Unbehagen. Sie wussten Bescheid. Kankredin schwebte als fast unsichtbare Wolke ganz in der Nähe. Doch bevor Maewen sich ihm zum Kampf stellte, wollte sie noch einiges unternehmen.
Sie verließ die Wohnung wieder und eilte die Treppen hinunter, ganz nach unten, bis sie in den alten Teil des Palastes kam, wo die Bilder aufgehängt waren. Sie hatte zu viel Zeit in der Badewanne verbracht. Die Kunststudenten waren schon da, und Maewen musste sich um ihre Staffelein winden und über sie hinwegsteigen, wenn sie auf dem Boden des Ballsaals liegend die Gemälde an der Decke und an den Wänden betrachteten.
Über den hellhaarigen Amil in seiner purpurnen Hose konnte sie nur den Kopf schütteln. Wer immer das gemalt hatte, besaß nicht den leisesten Schimmer, wie Mitt ausgesehen hatte. Oder vielleicht doch?, fragte sie sich und dachte an König Hern. Sollte es Absicht sein?, überlegte sie und blickte auf die Schlachtenmalereien an der Decke. Navis war dort zu sehen, auch ein riesiger Mann, der wohl Alk sein sollte, und eine grimmig wirkende Frau. War das die Gräfin von Aberath? Sie sah ein wenig wie ein Pferd aus. Nun, da Maewen wusste, nach wem sie suchen sollte, entdeckte sie auch Kialan und Ynen, die allerdings nicht sehr gut getroffen waren – und der junge Mann mit den roten Haaren, der eine Quidder in den Händen hielt und sich halb hinter einer Gruppe Pferde verbarg, sollte gewiss Moril sein, aber er sah ihm gar nicht ähnlich. Wer aber der wilde, in Pelze gekleidete Mann im Süden sein sollte, konnte sie nach wie vor nicht sagen.
Von Mitt gab es kein echtesPorträt, so viel wusste sie nun. Dennoch ging sie in den kleineren Raum, in dem die Porträts hingen. Er war voller Menschen, große Männer aus Haligland, die alle ein wenig aussahen wie Kialan, sich in einer fremden Sprache unterhielten und ihre alberne Nationaltracht trugen – Kilts und Wappenzeichen; sie mussten zu einer Tagung hier sein. Maewen drängte sich, von äußerster Neugierde erfüllt, zwischen ihnen hindurch. Da hingen sie, die beiden uralten Porträts des Adons – und genau: an dem einen stand, es sei aus Holand, das andere stamme aus Aberath –, und beide sahen sie Mitt bestürzend ähnlich, oder genauer, sie zeigten einen Mitt, den jemand gemalt hatte, ohne ihn wirklich richtig zu treffen. Maewen sah gleich, weshalb Mitt nicht gewollt hatte, dass jemand ihn porträtierte. Dieses knochige, kranke Aussehen. Doch war das wirklich der Grund?
Daneben aber sah sie Navis als Herzog von Karnsburg, wie er zwingend und hochmütig über die eigene Schulter blickte. Der Künstler hatte Navis ganz genau getroffen. Sie ging weiter zu Moril. Moril wirkte auf dem Bild mehr als nur verraten: Er sah aus, als habe man ihm das Herz gebrochen. Maewen fragte sich, ob er je darüber hinweggekommen sei, was Hestefan ihm angetan hatte, aber sie vermutete, dass es ihm nicht gelungen war. Maewen erschien es eigenartig, denn Moril hatte Hestefan eigentlich nicht besonders gemocht. Nein, dachte sie, während ihr Blick auf die Quidder in dem Bild fiel; es lag daran, dass sie beide Barden waren. Als Barde tat man bestimmte Dinge einfach nicht.
Maewen schob sich zwischen zwei breite Haligländer und betrachtete die echte Quidder in der Vitrine. Jawohl, es war wirklich Morils Instrument. Als sie es das letzte Mal gesehen hatte, sah es so viel neuer und benutzter aus als jetzt. Was für eine Schande, dass ein solch machtvolles Instrument langsam in einem Glaskasten verrottete. Doch obwohl Maewen mit Nachnamen Bard hieß, wusste sie genau, dass sie nicht die geringste Chance hatte, die Quidder so zu gebrauchen, wie sie gebraucht werden konnte. Eine Schande. Solch eine Verschwendung.
Sie wich zurück und drängte sich zum Ausgang durch. Dabei fiel ihr ein anderes Porträt ins Auge, eines, dem sie bislang nicht mehr als einen flüchtigen Blick geschenkt hatte: das Porträt einer Frau – einer dünnen Frau mit blassem Gesicht, schwarzem, zu einer Hochfrisur aufgetürmtem Haar und einer kleinen Zornesfalte zwischen den Augenbrauen. Hildi. Du großer Einer! Das Elend donnerte erneut auf Maewen herab, stärker, als sie es je für möglich gehalten hätte – und dabei hatte sie gedacht, ihr sei schon so elend zumute wie es nur ging. Mit dem Elend kamen Erinnerungen hoch: wie Mitt in der Rechtsakademie an dem feuchten Fleck herumwischte, den ihre Tränen auf seiner
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