Jones, Diana Wynne
ganzen Palast nach mir benannt, und ich kann mich nicht einmal bei ihm bedanken! Ihre Augen begannen zu jucken, und der drückende Schmerz in ihr wurde davon wärmer, ohne dass er leichter zu ertragen gewesen wäre. Zweimal umrundete sie die Galerie und erfreute sich an Mitts Botschaft. Dann fielen ihr andere Dinge ein, die sie unbedingt wissen musste. Und wieder schoss sie die Treppe hoch.
»Vater!«
Sie vergaß, wie oft sie zum Büro hinaufrannte und in welcher Reihenfolge sie die anderen Fragen stellte. Jedes Mal war Vater erstaunlich geduldig – wie auch Navis es war, wenn man wirklich etwas benötigte. Oder sollte es etwa so sein, dass Navis auf irgendeine verwirrende Weise eine Art Verwandtschaftsgefühl zu Maewen empfunden hatte? Eines der ersten Dinge, die sie fragte, war jedenfalls: »Vater, wen hat der Herzog von Karnsburg geheiratet?«
Vater runzelte die Stirn. »Ich kann mich wirklich nicht an den Namen seiner ersten Frau erinnern. Seine zweite Frau war aber die Witwe des Barons von Adenmund.« Er schnippte mit den Fingern. »Wie hieß sie gleich? Jawohl, Eltruda, das war ihr Name!«
»Vielen Dank, Vater.« Noreths Tante. Es passt alles zusammen. Und wieder lief sie treppab, um auf der Galerie zu patrouillieren.
Bei einem ihrer neuerlichen Besuche im Büro drückte ihr eine von Vaters jungen Damen ein Käsebrötchen in die Hand und sagte, es sei Zeit fürs Mittagessen. Maewen hatte keinen Appetit. Sie trug das Brötchen mit sich herum, während sie die Galerie abschritt. Sie hatte es noch immer, als sie Wend näher kommen sah und sich vor ihm im Büro versteckte. Dort musste sie das Brötchen essen, auch wenn es ihr im Halse stecken zu bleiben drohte, sonst wäre die junge Dame bestimmt beleidigt gewesen.
»Vater? Wen hat Hild… – ich meine, die älteste Tochter des Herzogs von Karnsburg geheiratet?«
»Hildrida. Meine Güte. Du scheinst ja besessen zu sein von dieser Familie«, sagte Vater. »Ich kann mich wirklich nicht erinnern. Geheiratet hat sie gewiss, denn ihre Nachfahren sind noch immer Hüter der Heiligen Inseln, aber … Nicht dass Hildrida je viel Zeit auf den Inseln verbracht hätte. Amil war viel öfter dort, und auch Hildridas Bruder Ynen, der dort unsere Marine aufgebaut hat. Deswegen ist Dalemark überhaupt zu einer großen Seemacht geworden, weißt du. Ynen hat auf den Heiligen Inseln die ersten Dampfschiffe getestet.«
Gesegnet seien Vater und seine Vorträge!, dachte Maewen. Man bekam immer doppelt so viele Antworten, wie man Fragen gestellt hatte. Bei manchem dieser Besuche im Büro erfuhr sie sogar mehr als sie wissen wollte, zum Beispiel, als sie fragte, wer Hobin gewesen sei. Dieser Vortrag fing an mit: »Du meinst den Blutigen Hobin von Holand? Er war zu Beginn von Amils Herrschaft der Auslöser des Aufstands im Süden. Und wie so viele Revolutionäre geriet er schließlich außer Kontrolle …« Maewen hörte ihm bei diesem Vortrag nicht sehr aufmerksam zu, denn es ging nur um Hobin und nicht um Amil.
Manchmal aber hörte sie auch so gut wie gar nichts, wie etwa, als sie fragte: »Moril der Barde, Vater? Weiß die Geschichte etwas über ihn?«
»Nein«, antwortete Vater. »Ich habe noch nie von ihm gehört.«
»Und Hestefan der Barde?«
»Nichts«, sagte Vater. »Du darfst nicht vergessen, dass sich das Land während Amils Herrschaft sehr rasch verändert hat. Zu der Zeit, als er starb, waren Barden völlig überholt.«
Der arme Moril. Als Maewen das nächste Mal nach oben stürmte, fragte sie: »Graf Keril von Hannart, Vater. War er Amil eine große Plage?«
Mit hochgezogenen Augenbrauen wie ein Abbild von Navis sagte Vater: »Schreibst du an einem historischen Roman, oder was ist los? Nicht dass ich dich davon abbringen möchte, aber bitte lass uns dann auch genau sein. Wie die meisten nordländischen Grafen unterstützte auch Keril von Hannart Amil, doch Amil scheint ihm nie sehr großes Vertrauen geschenkt zu haben. Die Historiker führen den Niedergang Hannarts gewöhnlich auf diese Periode zurück.«
»Danke.« Aha. Also war Keril als nur einer unter vielen Politikern in die Geschichte eingegangen, der einen Fehler begangen hatte. In gewisser Weise stimmte das zwar, und doch war es so falsch.
Maewen ging nachdenklich davon. Sie war müde. Der heutige Tag hatte buchstäblich zweihundert Jahre gedauert. Doch selbst wenn sie entspannt genug gewesen wäre, um sich hinzusetzen und auf Kankredin zu warten – bei ihrem Elend hätte sie niemals stillhalten
Weitere Kostenlose Bücher