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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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Liss hatte es an Vater geschickt. Als Wend es sah, wusste er, dass Maewen aussah wie Noreth. Wend musste sie verraten haben. Wie hätte Kankredin ahnen sollen, sich das Foto anzusehen?
    Maewen blickte die goldene Statue an, ein buttriges Leuchten hinter der Glasscheibe. Sie war sich recht sicher, dass sie, wenn sie nur lange genug die Vitrinen absuchte, irgendwo auch einen schiefen Silberbecher fände und einen Ring mit einem großen roten Stein, der das Profil des Adons zeigte – vielleicht sogar zwei solche Ringe. Ihr fehlte aber die Energie zum Suchen. Ihre Stiefel waren wieder zu Sandalen geworden, aus denen ihre braunen schmutzigen Zehen herausschauten. Sie brauchte ein Bad. Sie musste sich die Haare waschen. Maewen betrachtete ihren Daumen. Wo der falsche Ring gesteckt hatte, umgab ihn sauberes weißes Band. Ja, es würde zwei Ringe geben. Der Eine hatte sämtliche Pläne auf den Kopf gestellt – Wends, Kankredins, Graf Kerils, die Ränke dieses Grafen von Andmarks, Maewens Ideen – und sie gegen ihre Urheber gewendet. Maewen hatte nicht die Geschichte ändern können – sie hatte nur dazu beitragen können, dass sie verlief, wie sie verlaufen sollte.
    Sie brauchte wirklich dringend ein Bad.
    Stattdessen begann sie der Galerie zu folgen; im Bogen ging sie auf die Reihe riesiger Fenster zu, die den Vorhof überblickten. Sie wollte eigentlich nicht in die Glaskästen schauen, an denen sie vorbeiging, aber das Schwert sah sie dennoch. Trotz seiner dunklen Farbe schien es ihr in seiner schäbigen, nüchternen Scheide von selbst ins Auge zu springen. Maewen wich einen Schritt zurück, nachdem sie schon fast daran vorbeigelaufen war, und las das Schildchen:
    E INES VON MEHREREN S CHWERTERN,
VON DENEN ES HIESS,
SIE HÄTTEN DEM A DON GEHÖRT.
D EN L EGENDEN ZUFOLGE KANN NUR
DER RECHTMÄSSIGE H ERRSCHER DAS S CHWERT
DES A DONS AUS DER S CHEIDE ZIEHEN.
    Das ist wahr, dachte sie. Ich konnte es nicht ziehen. Mitt musste es beide Male tun. Mit einem schweren Gewicht auf dem Herzen trödelte sie zu den Fenstern. Das alltägliche Leben war so schrecklich alltäglich. Alles war jetzt vorbei.
    Als sie zum ersten Fenster kam, lugte sie vorsichtig an der Ecke hindurch. Unter sich sah sie den weiten, gepflasterten Hof mit den Steinmustern und der absurden, zwiebelförmigen Kuppel in der Mitte, ein sehr hübsches Beispiel amlischer Steinbildarbeit. Major Alksen und alle seine Leute einschließlich Wends umstanden dort das Grab in einem weiten Kreis und bewegten sich zögernd darauf zu. Was glaubten sie wohl, was darin sei?
    Was immer darin war, es quiekte – ein lang gezogenes, abschwellendes Wie-hie-hie. Maewen hörte es selbst durch das Glas ganz deutlich. Ein Pferd. In ihrer Kehle begann etwas zu pochen, und sie merkte, wie sie erblasste, während sie begriff, welches Pferd es war. Viel gewiehert hatte es nicht, doch Maewen wusste viel über Pferde, und dieses spezielle Pferd kannte sie besser, als ihr lieb war. Fast hätte sie sich aus dem Fenster gelehnt und Major Alksen zugerufen: ›Gehen Sie nicht näher! Das da drin ist Kankredin!‹ Wend muss Bescheid wissen!, durchfuhr es sie. Er ließ sie alle gegen das Grab vorgehen, ohne dass sie ahnten, mit wem sie es zu tun bekamen. Major Alksen hatte das Grab nun erreicht. Er legte die Hand an die Gittertür, die den Eingang sicherte.
    Über den kleinen Kuppeln auf dem Dach des Grabes begann die Luft zu zittern. Major Alksen sah nichts davon. Die Unruhe war kaum auszumachen, nur ein schwaches Nachbild des trompetenförmigen Wirbelwinds, den Mitt heraufbeschworen hatte. Durch ihre neue Klarsicht aber war Maewen darauf vorbereitet; mit dergleichen hatte sie gerechnet. Sie beobachtete die Windhose, wie sie spiralig aufstieg, bis sie die Höhe des Palastdaches erreicht hatte; dort schwebte sie auf der Stelle. Wend neigte den Kopf leicht zur Seite, als auch er die Windhose entdeckte, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos, und er sagte kein Wort. Unterdessen riss Major Alksen zuerst die Gittertür und dann die eigentliche Tür auf, während eine Assistentin im gleichen Moment beides am anderen Ende öffnete. Sie gingen hinein. Sie kamen heraus. Ihre Bewegungen verrieten Verblüffung, Verwirrung, Irritation. Im Grab war nichts. Die anderen Palastwächter, die noch immer im Kreis standen, kamen unschlüssig einen Schritt näher, unschlüssig, aber auf irgendeinen Trick vorbereitet.
    Maewen entdeckte, dass sie immer nur ganz kurz hinschaute und sich meist mit dem Rücken gegen die

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