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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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sie es wagen könne, ihn zu fragen, ob ihr Vater ihn ihr wirklich bis nach Adenmund entgegengeschickt und es dann vergessen habe – hatte sich jedoch dagegen entschieden und war weiter ihrem Vater hinterhergelaufen. Nacheinander verließen sie das Bahnhofsgebäude und gelangten in dröhnenden Verkehrslärm und das Licht einer Sonne, die viel heißer brannte, als Maewen es gewöhnt war. Auf der Verkehrsinsel vor dem Bahnhof stand ein gewaltiger runder Stein mit einem Loch in der Mitte und beschattete die vordere Hälfte der Taxireihe.
    »Wir brauchen kein Taxi; es ist nicht weit«, sagte Vater. Er wies auf den großen Stein. »Der alte Wegstein«, erklärte er und begann stadteinwärts zu gehen. »Er markierte den Anfang des alten Straßennetzes von NordDalemark. Entweder König Hern selbst oder wahrscheinlicher einer seiner Nachkommen hat die Straßen errichten lassen, doch das einfache Volk glaubte, die Götter hätten sie angelegt, und nannten sie oft die Wege der Unvergänglichen.«
    Maewen trippelte ihm auf einer großen Durchgangsstraße hinterher und versuchte, so viel wie möglich von seinen kleinen Vorträgen mitzubekommen, die er ihr ohne Unterbrechung hielt. Nach dem Wegstein erklärte er ihr den Verkehr, dann das ringförmige Straßennetz, das Amil der Große eingeführt hatte, danach die Waren, die in den teuren Geschäften verkauft wurden, die sie auf der anderen Straßenseite sah. Irgendwann holte auch Wend sie ein. Er trug noch immer ihren Koffer, und Maewen glaubte, dass er sagte: »Ich erkläre es später«, doch sie war zu sehr durcheinander, um sich sicher zu sein.
    Sie vergaß ohnehin alles, als sie an ein riesiges vergoldetes Tor in einer hohen Mauer kamen und Maewen den Palast zum ersten Mal sah. Er stand am anderen Ende eines gepflasterten Hofes und bot einen prächtigen Anblick. Wie ein anmutiger Steilhang, dachte sie, fast zu groß, um ihn auf einmal in sich aufzunehmen, und voller senkrechter Linien, die ihn noch größer erscheinen ließen. Gleich davor, in der Mitte des Hofes, war ein sehr viel kleineres Gebäude. Es erweckte Maewens Aufmerksamkeit, weil es sich so sehr vom Schlosse unterschied, dass es beinah fehl am Platze wirkte. Wie das hausgroße Modell eines Märchenpalastes sah es aus, hatte drei kleine Zwiebelkuppeln und so viele Spiraltürme, dass es schon beinahe absurd erschien.
    »Was ist denn das?«, fragte sie.
    »Das? Ach, das ist das Grabmal Amils des Großen«, erklärte ihr Vater und schloss sofort einen der Kurzvorträge an, die Maewen mittlerweile schon von ihm erwartete. »Den alten Teil des Palastes hat er vor zweihundert Jahren fertig gestellt, ganz zu Beginn seiner Herrschaft also. Wir blicken hier auf Amils alte Fassade: Die zurückgenommenen Arkaden längs der unteren Geschosse waren seine eigene Idee. An Ideen mangelte es ihm nie, doch gegen Ende seiner Herrschaft hat er ein wenig die Kontrolle über seine Einfälle verloren, fürchte ich. Amil schien immer mehr vom Tod und vom Bösen besessen zu sein. Er verwandte seine ganze Zeit nur noch auf den Bau des Grabmals und seine Reisen durch das ganze Königreich, auf denen er auslöschen wollte, was er ›Nester Kankredins‹ nannte. Damit meinte er Orte, an denen Ungerechtigkeit oder Gesetzlosigkeit herrschte, doch zu dieser Zeit war er schon sehr exzentrisch geworden und bestand auf dieser Bezeichnung.«
    »Er war sehr alt, als er starb, oder?«, fragte Maewen.
    »Fast neunzig«, sagte Vater. »Komm mit hinein. Geben Sie mir den Koffer, Wend. Wir fahren mit dem Aufzug hoch.« Er begann, den großen Hof mit seinem Muster aus Kopfsteinen und Fliesen zu überqueren, und dozierte immer weiter. »Amil hat aus einem Land, das aus zwei primitiven Gruppen von Grafschaften bestand, unsere moderne Industriegesellschaft gemacht, und damit hat er sich wohl das Recht verdient, ein wenig exzentrisch zu sein. In gewisser Weise ist dieses Grabmal sein einziger nutzloser Prunkbau.«
     

5.
    Vater hatte eine große, sehr geräumige Wohnung ganz oben im alten Palast, die mit Büchern und alten Möbeln voll gestopft war. Vom Wohnzimmer blickte man über das bleigedeckte Dach, und Tauben stolzierten an den Fenstern vorbei; sie hofften auf Brotkrusten vom Frühstück. Maewens Zimmer lag zum Vorhof hinaus; man sah das Pflaster und Amils verrücktes Grabmal, das Meilen tiefer zu liegen schien. Dahinter breitete sich ein grandioses Panorama von Karnsburg aus – die Stadt bestand offenbar nur aus dunklen Bäumen, Türmen und gedrungenen

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