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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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entblößte, dann verbeugte er sich sogar leicht.
    »Vielen Dank, meine Dame. Sie können sich darauf verlassen, dass ich gut auf Ihre Nichte Acht geben werde.«
    Wenn Maewen daran zurückdachte, überlegte sie, ob der Schaffner Tante Liss vielleicht nur auf den Arm genommen habe; während dieser peinlichen Szene hatte es jedoch ganz und gar nicht den Anschein gehabt. Zwischen Adenmund und Kredinstal versuchte Maewen verzweifelt, ihr rotes Gesicht zu verbergen, und krümmte sich innerlich zusammen.
    Merkwürdig an der ganzen Geschichte war vor allem, dass Maewen normalerweise viel besser mit Tante Liss auskam als mit ihrer Mutter. Tante Liss kümmerte sich wenigstens um Maewen. Während Mutter im Atelier saß und weitabgewandt ihre eigenartig unbeholfen wirkenden Figuren in Metallfetzen und helle Farbkleckse kleidete, sorgte Tante Liss dafür, dass Maewen Essen bekam, etwas Sauberes anzuziehen hatte und – das war Maewen von allem am wichtigsten – ein Pferd zum Reiten. Tante Liss betrieb einen Reitstall und hatte dadurch ein geregeltes Einkommen. Wenn Mutter eine Statue verkaufte, dann verdiente sie auf einen Schlag eine beachtliche Summe, aber das kam nur…
    »Reist du weit, junge Dame?«, fragte der Passagier ihr gegenüber, und wieder zuckte sie zusammen. Er musste in Orilsweg oder sonst wo zugestiegen sein. Maewen sah ihn an und versuchte sich zu erinnern, aber sie musste wohl geschlafen haben, als er ins Abteil kam, denn sie hatte ihn ganz gewiss noch nie gesehen. Er gehörte zu diesen breiten alten Männern, die fast wie eine große Glocke aussehen, wenn sie sich hinsetzen. Zu beiden Seiten seines pausbäckigen Gesichts hing ihm wirres graues Haar wie Matten herunter. Maewen war sich nicht sicher, ob ihr gefiel, wie sich seine Augen halb unter den dicken, wulstigen Lidern verbargen – er sah dadurch verschlagen und recht grausam aus –, doch seine Frage war ganz höflich gewesen, und sie antwortete ihm wohl besser.
    »Nur bis Karnsburg.«
    »Tatsächlich?«, fragte er. »Und wo bist du eingestiegen?«
    »In Adenmund«, sagte Maewen.
    »Aus dem höchsten Norden«, sagte der alte Mann, »fährst du durchs halbe Land bis zu König Herns Goldener Stadt. Das ist eine bedeutsame Reise, mein Kind. Einst war es mal die Straße des Königs und führte zur Krone von Dalemark.« Er lachte auf nervöse, gehauchte Art. »Und was führt dich auf die Wege der Unvergänglichen?«
    Was für eine alberne Art zu reden!, dachte Maewen. Es gibt schließlich Leute, die reisen jeden Tag von Adenmund nach Karnsburg und zurück. »Ich besuche meinen Vater«, antwortete sie. Bis zu diesem Moment hatte sie geglaubt, sie unternehme das größte Abenteuer ihres Lebens, doch dank diesem alten Mann kam es ihr plötzlich mittelmäßig und langweilig vor. »Über die Feiertage«, fügte sie düster hinzu.
    »Dein Vater«, hauchte der alte Mann auf eine Weise, als stürze er sich auf etwas sehr Bedeutsames, »arbeitet so weit weg von deinem Zuhause? In Karnsburg? Hm?«
    »Ja«, sagte Maewen.
    »Besuchst du ihn häufig?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich fahre zum ersten Mal zu ihm.« Sie wünschte, sie könnte dieses Gespräch abbrechen. Die Stimme des alten Mannes gefiel ihr gar nicht. An ihr war etwas Merkwürdiges.
    »Ja, ich verstehe. Er ist also gerade erst nach Karnsburg gezogen, um dort eine Stelle anzutreten, richtig? Hm?«
    »Nein. Er arbeitet da schon seit sieben Jahren.« Was war an seiner Stimme so seltsam? Es schien Maewen fast, als käme die Stimme gar nicht von dem alten Mann, sondern von irgendwo weit weg. Vielleicht hatte er eine dieser Kehlkopfoperationen hinter sich, von denen Maewen gehört hatte, und musste einen Sprechkasten benutzen. In diesem Fall war er ein armer Mann, und sie musste freundlich zu ihm sein. Maewen versuchte ihm ihre Lage zu erklären, ohne die gesamte Familiengeschichte preiszugeben. »Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit… seit ich noch viel kleiner war.« Ihr Alter wollte sie ihm nicht verraten, doch das hätte er in dem Moment ausrechnen können, in dem sie sagte, dass ihre Eltern sich scheiden ließen, als sie sieben war.
    »Und wie kommt das?«, fragte der alte Mann. »Sind deine Eltern vielleicht nicht miteinander ausgekommen? Sie scheinen schließlich einen großen Teil deines Lebens voneinander getrennt gelebt zu haben.«
    So eine Frechheit!, dachte Maewen. Das geht ihn wirklich nichts an. »Meine Mutter«, erklärte sie ein wenig herablassend, »ist Bildhauerin und zieht es vor, bei den

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