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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04 Die Krone von Dalemark
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sich immer nur schwer vorstellen können, dass man sich von jemandem scheiden ließ, nur weil er mit den Gedanken woanders war. Schließlich und endlich hatte sie nie auch nur die leiseste Neigung verspürt, ihre Mutter zu verlassen. Da musste sie wieder grinsen.
    Als der Zug abbremste und quietschend in den Karnsburger Hauptbahnhof einlief, fühlte sich Maewen recht fröhlich und selbstsicher, doch leider blieb dies Hochgefühl auf ihren Geist begrenzt; ihr Körper bestand darauf zu glauben, sie sei sehr nervös: Ihre Arme fühlten sich wie Pudding an, als sie versuchte, ihren Koffer aus dem Zug zu wuchten. Er versperrte die Tür, und die Passagiere hinter ihr wurden zusehends unwilliger. Doch gerade, als sie anfing richtig nervös zu werden, stand ihr der höfliche, aufmerksame Schaffner wieder zur Seite. Er lächelte sie nüchtern an und hob ihren Koffer auf.
    »Lass mich das für dich tragen.«
    Er ging über den Bahnsteig voraus, und sie lief ihm trippelnd hinterher. Obwohl er sie wie ein Kleinkind behandelte, war sie ihm dankbar. Der Bahnhof war viel größer, als Maewen gedacht hatte. Unter den hohen Decken hallten die Durchsagen wider, und die Hallen waren erfüllt von den Schritten und den Stimmen der Menschen. Überall standen hohe rote Säulen, durch die die einzelnen Teile des Bahnhofs alle genau gleich aussahen.
    »Mein Vater holt mich ab«, sagte sie abwehrend.
    Kaum hatte sie gesprochen, als sie ihren Vater entdeckte. Er drängte sich durch die Menschenmassen, die alle in die andere Richtung wollten. Er las in einem Packen Notizen, die er in der Hand hielt, und ganz eindeutig existierten die anderen Leute, die sich an ihm vorbeischoben, für ihn einfach nicht. Sein Anblick versetzte Maewen augenblicklich sieben Jahre zurück in die Vergangenheit. Für sie bedeutete es das reinste Entzücken zu sehen, wie Vater aus der Menge hervorstach, weil er so makellos und scharf umrissen war – aber nicht dadurch, dass er groß wäre, begriff sie, als er näher kam. Dem Schaffner reichte er nur bis zur Schulter. Deswegen bin ich also so klein!, dachte sie und fragte sich einen verrückten Augenblick lang, ob Mutter sich von ihm getrennt habe, weil sie so groß und gertenschlank war.
    Vater blickte von den Notizen auf und erkannte sie, als hätte er sie am Vortag zum letzten Mal gesehen. »Oh, hallo«, sagte er. »Du siehst deinem Foto aber gar nicht ähnlich.« Er drehte seinen Notizenpacken herum, damit sie den Schnappschuss sehen konnte, den er mit einer Büroklammer am obersten Blatt befestigt hatte. Ausgerechnet dieses Foto hatte Maewen nie leiden können, denn sie wirkte darauf langgesichtig und sommersprossig; sie hatte den einen Arm um den Hals eines Pferdes gelegt und sah dem Tier recht ähnlich, nur dass das Pferd hübscher war. »Ich nehme an, so sieht deine Tante Liss dich am liebsten«, sagte er. »Das Foto hat natürlich sie mir geschickt.«
    Ein peinlicher Augenblick folgte, weil Vater sich niederbeugte und Maewen auf die Wange küsste, ohne ihr Zeit zu geben, den Kuss zu erwidern. Er roch, genauso wie in ihrer Erinnerung, nach Pfeifenrauch. Er wandte sich jedoch fast augenblicklich ab und betrachtete den Schaffner. »Sie hätten sich nicht bemühen müssen, Wend«, sagte er. »Selbst jemand wie ich vergisst nicht, die eigene Tochter vom Bahnhof abzuholen – hoffe ich wenigstens.« Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und gab sich sehr herablassend. Auch daran erinnerte sich Maewen sehr gut. War am Ende etwa das herablassende Gebaren ihres Vaters der Grund für die Scheidung gewesen?
    »Ich sollte gut auf sie Acht geben, Herr Bard«, sagte der Schaffner. »Das nahm ich jedenfalls an.«
    Maewen drehte sich zu ihm um und starrte ihn an. Die ganze Zeit hatte sie geglaubt, er trage die Uniform der Eisenbahner, aber nun sah sie, dass das Blau heller war und auch die Mütze nicht stimmte. Wie eigenartig.
    »Ich nehme an, ihr kennt euch schon«, sagte Vater. Er klang noch immer so hochmütig und fuhr mit triefendem Spott fort: »Maewen, mein erster Assistent, Wend Orilsohn. Wend, meine Tochter, Mayelbridwen Bard.« Dann wandte er sich um und ging mit raschen Schritten zum Ausgang. Maewen blieb schwankend zurück; sie wusste nicht, ob sie ihm nacheilen oder bei dem eigenartigen Wend und ihrem Koffer bleiben sollte.
    Ohne eins von beiden getan zu haben, erreichte sie den Ausgang; sie war ihrem Vater ein Stückchen nachgeeilt und stehen geblieben, hatte sich umdreht, Wend angeschaut und sich gewundert, ob

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