Jones, Diana Wynne
nicht«, sagte Maewen. »Woher willst du das alles wissen?«
Wend zuckte mit den Schultern. »Ich habe fast alles selbst miterlebt. Hern war mein Bruder.«
Maewen starrte ihn ungläubig an. »Aber das ist…« – ›Blödsinn!‹, wollte sie rufen, aber sie verbiss es sich, weil man bei Verrückten vorsichtig sein muss – »… unmöglich, Herr Orilsohn. Verstehen Sie doch, dann wären Sie so alt, dass Sie fast schon einer der Unvergänglichen wären.« Und niemand glaubt mehr an die Unvergänglichen, fügte sie in Gedanken hinzu, aber das sage ich ihm lieber nicht ins Gesicht.
Wend nickte. Er hatte eine traurige, selbstgefällige Vernunft an sich, die Maewen höchst misstrauisch stimmte. »Ich fand es auch ziemlich schwer zu glauben, als meine beiden Brüder starben und ich nicht einmal älter wurde. Es fällt einem schwer, sich einzugestehen, dass man etwas anderes sein soll als ein Sterblicher. Die Unvergänglichen aber gibt es, ob die Menschen nun an sie glauben oder nicht. Ich bin einer davon. Du hast wahrscheinlich schon von mir gehört. Eine Weile hieß ich Tanamoril. Dann nannte man mich Osfameron.«
Osfameron! Der Freund des Adons, der ihn von den Toten erweckte! Der ist ja noch viel weicher in der Birne, als ich es überhaupt bei irgendjemandem für möglich gehalten hätte! Maewen starrte Wend an, mit dem sie ganz allein in dem lang gestreckten Museumssaal war. Ob alle Verrückten so vernünftig wirken? Wenn ich mich doch nur besser auskennenwürde! Ohne sein gutes Aussehen wäre er ganz unauffällig. Ich muss mich auf sein Spiel einlassen, bis er irgendwohin gerufen wird. »Was glauben Sie denn, was dieses Nest Kankredins von mir gewollt hat?«, fragte Maewen leise.
»Ich glaube«, antwortete Wend, »dass er versucht hat, dich in seine Gewalt zu bringen.«
Maewen kam es vor, als führe ihr jemand mit kalten Fingern den Rücken entlang. Sie stellte sich an den nächsten Glasschrank, weil sie sich dadurch eine Winzigkeit sicherer fühlte. »Warum … warum sollte er das wollen?«
»Weil du genauso aussiehst wie eine junge Frau, die vor etwas über zweihundert Jahren gelebt hat«, erklärte Wend ihr.
»Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!«, wandte Maewen ein.
Wend jedoch redete weiter, als habe er sie überhaupt nicht gehört. »Eine sehr wichtige junge Dame«, sagte er. Angesichts der beherrschten, nüchternen Miene, die er machte, sagte sich Maewen, dass sie nun zum Kern seiner Geistesstörung vorgestoßen waren, worin auch immer sie bestehen mochte. Sie drückte sich gegen den Glasschrank und ließ Wend reden. »Noreth«, sagte Wend. »Geboren, um über ganz Dalemark zu herrschen. Mein Großvater, der Eine, war ihr Vater, und sie wusste schon von Kindesbeinen an, dass sie die Krone ergreifen und sowohl den Norden als auch den Süden regieren sollte. In dem Moment, in dem sie die Krone an sich nahm, hätten die Menschen im ganzen Land sich ihr angeschlossen, egal, was die Grafen davon hielten.«
»Was ist geschehen? Wollte sie nicht?«, fragte Maewen.
»Ich weiß nicht, was geschehen ist. Sie war nur zu gern dazu bereit.« Einen kurzen Augenblick lang schien Wend sich deswegen erbärmlich zu fühlen, dann glättete sich sein Gesicht wieder. »Ich habe Noreth auf der Straße des Königs beschützt«, sagte er. »Am Mittsommertag nach ihrem achtzehnten Geburtstag brach sie, wie es richtig war, von Adenmund nach Karnsburg auf, um sich die Krone zu nehmen. Nichts hätte schief gehen dürfen. Ich war so wachsam, wie es nur ging. Doch irgendwann auf dem Weg näherte sich Kankredin ihr, wie er sich dir genähert hat, und sie… verschwand einfach.« Wend schluckte leicht. Dann sprach er mit einem ruhigen und kühlen Gesichtsausdruck weiter: »So konnte Amil, den man den Großen nennt, die Krone beanspruchen.«
Maewen stand noch immer am Glaskasten. »Und das«, sagte sie sanft und geduldig, »erzählst du mir nur, weil ich wie diese Dame aussehe.«
»Nein«, entgegnete Wend. »Ich sage es dir, weil das Schicksal mich bestimmt hat, dich in der Zeit zurückzuschicken, damit du Noreths Platz einnimmst.«
»Schicksal?«, fragte Maewen. »Das ist ein starkes Wort. Vorher brauchst du meine Zustimmung, und die habe ich dir nicht erteilt.«
Wend war plötzlich einem Lachen näher, als Maewen es bei ihm je gesehen hatte. »Du vergisst«, sagte er, »dass ich dort war. Und du auch. Darum weiß ich, dass ich dich losgeschickt habe.« Nun, da er an den Punkt gelangt war, auf den er hinausgewollt
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