Jones, Diana Wynne
pflege.«
Hestefan hatte vom einen zum anderen geblickt und machte auf Maewen sehr stark den Eindruck eines Schullehrers, der vorbereitet vor die Klasse tritt und feststellen muss, dass die Schüler schon alles wissen, was er ihnen beibringen wollte. Er hatte sie an einen Lehrer erinnert, seit sie ihn zum ersten Mal sah – und zwar an Dr. Loviath, der sie im letzten Jahr in Physik unterrichtet hatte, ja, genau an den! Nun sagte er exakt im gleichen autoritären Ton wie Dr. Loviath: »Über die Gaben kursieren zahllose Gerüchte – nichts davon habe ich selbst gesehen, nichts davon hat jemals jemand bewiesen.«
Mitt, der Hestefan für einen rechten Stockfisch hielt, nahm sich noch eine Hand voll Kirschen und sagte: »Alk hat mir erzählt, dass der Ring dem Finger der Richtigen immer passt. Er sagt, ihm passt er nicht, aber der Gräfin, weil sie vom Adon abstammt. Aber es ist ein kleiner Ring, wisst ihr. Ihr müsstet mal sehen, was Alk für Finger hat!«
»Und damit ist es nicht bewiesen«, sagte Hestefan finster. »Barden dürfen immer nur die Wahrheit sagen. Deshalb kann ich mich dazu nicht weiter äußern.«
Moril wirkte verblüfft. »Ja, aber wir können doch wiedergeben, was die Leute sagen«, entgegnete er. »Und ich weiß, dass sie sagen, nur der wahre Erbe des Adons könne das Schwert aus der Scheide ziehen.«
»Ich werde mich nicht weiter dazu äußern«, wiederholte Hestefan.
Maewen versuchte die Wogen zu glätten, indem sie sich erkundigte: »Würdest du mir etwas erklären, das ich mich schon immer gefragt habe? War der Adon ein Unvergänglicher?«
Doch ihr Versuch misslang. Hestefan starrte sie an, wie er sie angestarrt hatte, als sie ihn aufforderte, aus seiner Träumerei zu erwachen. Schließlich antwortete er mürrisch: »Das glaube ich nicht, obwohl er von ihrem Blut war. Aber wie du weißt, starb er zweimal.«
Und noch zwei von uns, die sich nicht leiden können, dachte Maewen: Hestefan und ich. Gründlich verstimmt stand sie auf und setzte sich auf einen Erdbuckel, der eine gewisse Strecke entfernt lag. Von dort sah sie zu, wie das letzte Tageslicht auf den höchsten Gipfeln verblasste. Der Himmel war noch immer silbrig, wirkte aber über dem Lagerfeuer schon recht dunkel; die Berge wurden zusehends blauer und blauer. Was war nur mit ihr los? Was scherte es sie, wenn keiner ihrer Reisegefährten den anderen ausstehen konnte? Sie war eine Hochstaplerin, ein Ersatz, die nach diesem Nachmittag vielleicht schuld war, dass die Geschichte im Kreise verlief.
Ja, das war es wohl. An diesem Nachmittag hatte sie etwas getan, das den Verlauf der Geschichte wirklich beeinflussen könnte. Und deswegen wollte sie, ob es unmöglich war oder nicht, dass Noreths irrwitziges Vorhaben gelang. Sie wollte sich Noreths Ziel zu Eigen machen und es erreichen. Und wer weiß, vielleicht würde sie, wenn es so weit war, die Krone doch nicht zahm an Amil den Großen abtreten. Dann hätte sie die Geschichte wirklich nachhaltig geändert – wenn ihr nur einfiele, wie sie das bewerkstelligen sollte.
»Mit diesen Bergleuten bist du sehr klug umgegangen«, sprach ihr die tiefe, tönende Stimme ins Ohr. »Mein Rat war nicht an dich verschwendet.«
Maewen fuhr zusammen und blickte sich vorsichtig um. Soweit sie im Halbdunkel sehen konnte, war sie auf dem feuchten grünen Buckel allein. Sie sah Hestefan, Navis und Wend im orangeroten Feuerschein sitzen. Außerdem kannte sie nun ihre Stimmen; keiner dieser drei hatte sie angesprochen. Morils Stimme war noch immer hoch, wenngleich rauchig, und Mitts neigte zum Krächzen und Grollen. Das Gespenst hatte sie wieder angesprochen. Gespenster können niemandem etwas tun, doch gefielen Maewen die bläulichen Nebelschwaden gar nicht, die sich in den Zwischenräumen der Bodenwellen sammelten. Sie erhob sich beiläufig und wollte zum Feuer zurückkehren.
»Nun musst du des Adons Gaben erlangen«, sagte die Stimme. Maewen ging schneller, aber sie hörte die Stimme dennoch; Maewen durchliefen tiefe, sehr tiefe Schwingungen. »Finde des Adons Gaben. Sie werden deinen Anspruch beweisen. Zudem geben sie deinen Anhängern eine Aufgabe, und mit deiner Suche verwirrst du die Grafen.«
Genau mit dieser Idee hatte Maewen bereits gespielt. Vielleicht gehörte diese Stimme ja sogar zu ihr. Das hätte alles schlimmer gemacht. »Ich denke darüber nach«, sagte sie und floh.
Am Feuer erhoben sich schon alle und legten sich ohne Hast zur Nachtruhe. Nur von Moril war keine Spur zu sehen. Doch
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