Jones, Diana Wynne
Wasserläufe voller aufgerichteter Felsen und arglistiger Strudel, die mit solcher Gewalt dahinschießen, dass man auch mit Grund unter den Füßen kaum darin stehen kann. Mitt und Moril waren weiter vom Ufer weg, als Maewen erwartet hätte. Sie torkelten mal in diese, mal in jene Richtung, aber trotzdem beschimpften sie sich, soweit sie sehen konnte, noch immer gegenseitig. In dem Moment, als sie hinsah, stand Moril bis zu den Schultern und Mitt bis zur Brust im Wasser. Moril hielt seine Quidder mit beiden Händen hoch über den Kopf. Während er sich durchs Wasser schob, wühlte er mit dem Kinn eine blubbernde Bugwelle auf, dann stürzte er fast zur Seite in ein Strudelloch, das er nicht gesehen hatte, und versuchte, sich zum nächsten Felsen vorzukämpfen. Trotz des unfassbaren Lärms, den das Wasser machte, hörte sie schwach, wie Mitt noch immer Moril anfauchte.
»Irgendjemand soll sie aufhalten!«, sagte sie.
Mitt warf sich Moril hinterher und griff ärgerlich nach ihm. Dadurch stürzte Mitt seitwärts in das gleiche Strudelloch und verschwand unter dem Wasser. Im nächsten Moment tauchte er wieder hervor; mit beiden Armen schleuderte er das Nass von sich und brüllte vor Wut.
»Schwierig von hier aus«, stellte Navis fest.
Moril erreichte den Felsen. Er legte die Quidder vorsichtig auf einen trockenen Flecken, dann zog er sich scharrend selbstständig hinauf. Braun und mager wie er war, wirkte er vor Nässe wie ein ertrunkenes Wiesel. Mitt war noch im Wasser, und eine weiße Welle schäumte um seinen Hals. Moril kniete auf dem Felsen nieder und rief spöttisch etwas zu ihm hinab.
»Wenn ihr sie aufhalten wollt«, sagte Hestefan und stellte sich neben Navis, »dann muss jemand hingehen und Moril die Quidder wegnehmen. Dieses Instrument übt eine große Macht aus. Man hätte sie Moril niemals anvertrauen dürfen.«
Navis zuckte mit den Schultern. »Tatsächlich? Das hätte ich niemals vermutet. Und wie stellst du es dir vor, ihm die Quidder wegzunehmen? Doch während du darüber nachdenkst, vergiss nicht, Mitt zu berücksichtigen. Ich habe Grund zu der Annahme, dass er auf eigene Macht zurückgreifen kann.«
Maewen fand, dass es beiden völlig an Anteilnahme mangelte. Sie blickte Wend Hilfe suchend an. Wend war blass. Er wirkte niedergeschmettert und zugleich von Ehrfurcht erfüllt. »Uns steht es nicht zu, uns da einzumischen, Herrin«, sagte er. »Sie haben sich selber in die Hand des Einen begeben.«
»Ach was!«, rief Maewen. »So ein Unfug!«
Sie blickte hilflos zu dem Felsen hinüber.
Dort, bis zum Hals im reißenden Fluss, sagte Mitt gerade: »Was soll das heißen, sieh nur, wozu ich dich gebracht habe? Das ist ja wohl die jämmerlichste Verdreherei der Tatsachen, die ich je gehört habe! Deine blöde Quidder ist daran schuld!«
Zu seinem Erstaunen wirkte Moril recht beschämt. Trotzdem wich die starrsinnige Entschlossenheit nicht aus seinem blassen Gesicht. »Ich meinte das andere. Wenn du versuchst, auf diesen Fels zu steigen, dann trete ich dich wieder runter!«
»Na, da haben wir ja wirklich viel davon, wenn wir beide auf einem anderen Felsen hocken!«, brüllte Mitt zu ihm hoch. »Wir sind zusammen in diesen Fluss gefallen. Man sollte sich mal überlegen, ob wir nicht zusammenarbeiten müssen, um hier wieder rauszukommen.«
Moril blickte von einem Ufer des unmöglichen Flusses zum anderen. Mitt hatte es sich bereits angesehen. Mit Wasser kannte er sich aus. Er war damit aufgewachsen, mit Süßwasser ebenso sehr wie mit Salzwasser, der Umgang damit war ihm fast angeboren. Er hoffte, Moril würde durch das, was er sah, endlich zur Besinnung kommen. Nebelfetzen hingen über dem tosenden Wasser und erschwerten die Sicht; trotzdem war es möglich, auf beiden Seiten eine dunkle, steile Felswand zu erkennen. Hier und da wuchsen Bäume aus Rissen in den Wänden, so hoch oben, dass sie auf den ersten Blick wie Buschwerk aussahen. Und diese Bäume waren das einzig Lebendige weit und breit. Von Navis, Hestefan und Wend oder den Pferden und dem Maultier war weit und breit keine Spur. Als Moril das begriff, riss er entsetzt die Augen auf.
Gut, dachte Mitt. Ihm begannen die Zähne zu klappern. Dieser Fluss flößte ihm eine tiefe Furcht ein. Er kannte ihn. Er hatte ihn schon einmal gesehen – als er mit Noreth am Wegstein oberhalb von Adenmund saß. Dieser Fluss roch genauso, erschien ihm genauso, und was ihm die größte Angst machte, war der Umstand, dass er eigentlich nicht existieren konnte.
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