Jones, Diana Wynne
gerade eben aus dem Schnee gerettet hatte. Mit der linken Hand deutete er einen Akkord auf den Saiten an, als könne er nicht anders. »Darf ich?«, bat er Moril.
»Wenn du kannst«, antwortete er. »Ich hole dir die Hülle.«
Mit der rechten Hand spielte Wend über die Saiten, als streichle er dem Lämmlein den Kopf. Obwohl er nur eine Abfolge von Akkorden und Arpeggios spielte, schien er dabei ein ganz anderer Mensch zu werden. Sein Gesicht belebte sich, nahm ein leises, verzücktes Lächeln an, voller Gedanken und Energien, die vorher nicht dort gewesen waren. Seine Haltung veränderte sich, wie um sich der Quidder anzupassen, zur Positur eines stärkeren Mannes. Zum ersten Mal, seit Maewen ihn kannte, wirkte er glücklich. Eigenartig war daran nur, dass er dadurch zehnmal so gefährlich wirkte.
Warum kann er so nicht immer sein?, fragte sich Maewen, während sie sich abwandte, um wieder auf ihr Pferd zu steigen. Statt vorzugeben, er wäre gar kein Unvergänglicher unter Sterblichen? Sie versuchte Mitt in die Augen zu schauen, um zu sehen, was er dachte, doch weil Mitt zerknirscht war vor Scham über das Wort eifersüchtig, wich er rasch ihrem Blick aus. Vom Kutschbock herab starrte Hestefan sie kalt an.
Zwei schlechte Noten und eine ganze Woche nachsitzen!, dachte Maewen. Vermutlich hat Navis Recht, überlegte sie. Hestefan hatte es auf Morils Quidder abgesehen. Während sie weiterritten, wunderte sich Maewen, weshalb Hestefan sich Noreth überhaupt angeschlossen hatte, wenn er solch eine Abneigung gegen sie hegte.
Die Quidder abzugeben übte auf Moril eine erstaunliche Wirkung aus. Während Wend wie ein neuer Mensch einherschritt, kraftvoll und selbstsicher, benahm sich Moril wie ein Junge, der schulfrei bekommen hatte. Er tollte neben Mitts Pferd her und warf ihm freche Bemerkungen an den Kopf. Mitt zahlte in gleicher Münze zurück, und beide lachten sich halb tot. Nach einer Weile begannen sie, sich mit dem Reiten abzuwechseln, und kicherten jedes Mal noch viel alberner, wenn das Pferd namens Gräfin versuchte, Moril abzuwerfen.
Maewen ritt voraus. Sie fühlte sich einsam und unbeliebt, wenn sie die beiden im Nebel hinter sich lachen hörte. Ich denke, es bedeutet schon eine große Verantwortung, etwas wie diese Quidder zu besitzen. Trotzdem wurde sie das dumme, aus einer Überempfindlichkeit heraus geborene Gefühl nicht los, dass Mitt und Moril sich allein deswegen so ausgelassen gaben, um sie zu ärgern. Mir wurde gesagt, ich soll hierher kommen und die Anführerin sein, erinnerte sie sich. Kein Grund für Wahnvorstellungen.
Als habe das Wort sie ausgelöst, sprach die tiefe Stimme zu ihr; im zunehmenden Nebel schien sie direkt an ihrem Ohr zu erklingen. »Du hast gut daran getan, die Quidder nicht dem Barden in die Hände fallen zu lassen«, sagte sie.
Maewens Hände an den Zügeln zitterten. Sie hatte gewusst, die Stimme würde sie früher oder später allein erwischen. Gehörte sie wirklich dem Einen? Irgendwie zweifelte sie daran, vielleicht, weil sie ihr stets sagte, was sie gern hören wollte. Nachdem sie unversehens vor dem gewaltigen Strom gestanden hatte, ließ sie das Gefühl nicht los, der Eine würde ihr eher etwas Unerwartetes sagen, von dem sie niemals hätte etwas erfahren wollen. Nein. Ihr eigener Verstand spielte ihr auf der Grünen Straße einen gespenstischen Streich.
»Du wirst die Quidder brauchen, und der Bardenjunge wird sie spielen müssen«, fuhr die Stimme fort, »wenn es an die Suche nach der Krone geht.«
Maewen hatte der Stimme eigentlich nicht antworten wollen, doch nun ertappte sie sich dabei, wie sie fragte: »Und was ist mit dem Kelch und dem Schwert?«
»Der Südländer kann beides für dich stehlen.«
»Ach ja? Das kann er? Einfach so?«, erwiderte Maewen.
»So sage ich es dir«, entgegnete die Stimme. »Du musst meinen Rat befolgen, sonst findest du die Krone niemals. Und ich sage dir auch, dass du dir den Bardenjungen nicht entfremden darfst.«
»Na schön.« Maewen zügelte ihr Pferd, damit Navis und Wend sie einholten. »Na schön. Jetzt lass mich wieder allein, ja?«
Schon hörte sie Navis hinter sich; er fragte Wend, wie weit es noch bis Auental sei, und Wend antwortete, einen Tag würden sie schon noch brauchen. Maewen schloss sich Navis auf der anderen Seite an, und wie sie gehofft hatte, sprach die Stimme sie nicht mehr an.
Der Nebel wurde dichter. Bei Einbruch der Nacht war er trübblau geworden, und sie hielten auf einer weiteren welligen Wiese,
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