Jones, Diana Wynne
Ausschau nach mir!«
Maewen verkrampfte sich. Hestefan musste natürlich die Werbetrommel rühren – sie aber auch. Sie fragte sich, ob sie rufen sollte: ›Noreth Einentochter kommt nach Auental!‹, und dann den Gänsehüter … – nein, es war eine Frau, die sich wegen des Nebel dick angezogen hatte – ob sie die Gänsehüterin bitten sollte, sich ihr bei Karnsburg anzuschließen. Maewen war unentschlossen. Die Vorstellung gefiel ihr nicht, und am Ende meldete die Gänsehüterin sie noch dem Graf von Auental. Doch vielleicht wäre gerade das der richtige Schritt gewesen. Zum ersten Mal hätte sie den Rat der tiefen Stimme dankbar angenommen, doch dazu waren nun zu viele andere Menschen in der Nähe.
Währenddessen schälten sich immer mehr weiße, dreieckig erscheinende Gänse aus dem Nebel. Als Maewen, noch immer schwankend, schon den Mund öffnete, um es Hestefan nachzumachen, entschied Mitts Pferd, es müsse unmissverständlich klar machen, dass es Gänse für eine niedere Form von Leben halte. In kurzen Sätzen sprang es auf die Vögelchen, während Mitt schimpfend an den Zügeln zerrte. Nachdem Gräfin zehn Fuß in der Manier eines Schaukelpferds zurückgelegt hatte, gewann der Wallach und stürzte sich zwischen die Gänse. Mitt kippte in einem Durcheinandern aus Geschrei, Geflatter und Gerenne aus dem Sattel. Die Gänse stoben auseinander und flohen, nur zwei stürzten sich mit ausgebreiteten Flügeln und vorgereckten Köpfen auf Mitt. Die Hüterin brüllte aus vollem Hals – hauptsächlich sehr unfreundliche Dinge über Mitt und das Pferd.
Navis drängte sich fast augenblicklich ins Getümmel und schlug mit der Reitgerte auf alles und jeden ein. Die Frau brüllte auch Navis an. Bald ergriffen die beiden angriffslustigen Gänse die Flucht, Moril fing Gräfin ein, und Navis riss Mitt hoch. Danach jagte alles für eine ganze Weile Gänse. Als der Schwarm endlich wieder beisammen war, hatte Maewen den Mut verloren. Selbst wenn die Gänsehüterin nicht so wütend gewesen wäre, überlegte sie, während Navis und Hestefan die Frau mit ausgesuchter Höflichkeit besänftigten, konnte sie Noreth im Grunde erst dann zur Königin erklären, wenn sie mit des Adons Gaben Karnsburg erreichte und den Grafen etwas vorzuweisen hatte. Dieser Entschluss schenkte ihr große Erleichterung, und im gleichen Ausmaß fühlte sie sich völlig kraftlos.
»Ich glaube, der gehört dir, meine Dame«, sagte Navis, verbeugte sich und reichte der Gänsehüterin den Stab, den sie hatte fallen lassen.
»Passt nur auf, dass der Tollpatsch nicht wieder hinfällt und meine Gänse in Ruhe lässt«, entgegnete sie.
»Aber gewiss«, sagte Navis. »Ich fürchte nur, dazu müssten wir ihm ein richtiges Pferd kaufen, und dazu fehlt uns allen im Moment das nötige Geld.«
Daraufhin brüllte die Frau vor Lachen. Während Mitt wieder in den Sattel stieg, fühlte er sich wie ein vollkommener Idiot.
Und danach hielt er sein Pferd stets im Zaum, wenn sie im Nebel einen anderen Reisenden erblickten.
12.
Als sie das Nachtlager aufschlugen, erklärte Wend, Auental sei nur noch eine Meile entfernt. Die Stadt liege in einem Talkessel unter ihnen, den sie noch nicht sehen könnten.
Eigenartig, dachte Maewen, dass wir bis hierher so lange gebraucht haben. Dabei sind wir mitten durchs Gebirge gereist. Als sie mit Tante Liss nach Auental fuhr, waren sie nur vier Stunden unterwegs gewesen, und das, obwohl sie einen Abstecher über Hannart gemacht hatten. Ihr Orientierungssinn war völlig durcheinander.
Alle ihre Sinne waren durcheinander. Sie fürchtete sich vor Auental. Mitt benahm sich noch immer so distanziert und barsch, dass sie ihn nicht bitten konnte, den Kelch des Adons für sie zu stehlen. Moril war noch jünger als sie, und deshalb wollte sie ihn erst recht nicht fragen. Sie müsste es selbst tun. Dennoch kränkte sie Mitts Betragen. Am liebsten hätte sie sich bei ihm entschuldigt, aber sie konnte sich nicht erklären, womit sie ihn beleidigt haben sollte. Vielleicht war es am besten, einfach weiterzuziehen, ohne sich weiter um den Kelch zu scheren.
Nein. Aus ihrem Gedankenwirrwarr trat nur eins ganz klar hervor – halbwegs klar jedenfalls. Maewen und Tante Liss hatten getan, was für Touristen üblich war, und sich die Universität von Auental angesehen, wo die alte Rechtsakademie stand. Die Kapelle des Einen gehörte zur Rechtsakademie. Auf dem Altar darin hatte ein Kelch gestanden – oder würde dort stehen –, und ein
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