Jones, Diana Wynne
»sieht es dir gar nicht ähnlich, mir Brot hinterherzutragen.«
»Ich wollte dich nicht bespitzeln«, entgegnete Moril mit so viel Würde, wie sie jemand aufbringen kann, der gerade auf einer eingelegten Zwiebel kaut. »Ich habe ihn nur gesehen, aber kein Wort gehört von dem, was er sagte. Und er muss gewusst haben, dass ich da war, wegen dem Brot.«
»Und?«, fragte Mitt.
»Irgendetwas stimmt nicht«, sagte Moril. »Heute Morgen habe ich oben auf den Steinen gelegen, um mich etwas aufzuwärmen. Ich hörte, wie diese Stimme ihr befahl, uns umzubringen.«
Mitt verging der Appetit. »Und weiter?«
Moril schluckte die Zwiebel herunter, als wäre es ein Klumpen in seiner Kehle. »Ich hatte sie schon früher einmal gehört. Ich hörte, wie sie ihr riet, des Adons Gaben zu suchen. Damals erschien mir alles goldrichtig.«
Mitt aß weiter, obwohl ihm der Appetit vergangen war. Wer als Holander Armeleutekind aufgewachsen war, ließ keine Gelegenheit aus, etwas in den Magen zu bekommen. »Und was hältst du davon?«
Moril aß ebenfalls nur, weil er es für seine Pflicht hielt. Auch Barden machten schwere Zeiten durch. »Ich glaube«, sagte er, »dass es nicht der Eine ist, der da zu ihr spricht.«
Mitt wusste sofort, dass der Alte Ammet ihn deswegen so freundlich angeblickt hatte. Am liebsten hätte er gar nicht darüber nachgedacht. »Wer soll es dann sein?«
»Kankredin«, sagte Moril.
Nun war es heraus. Mitt nickte. »Ich glaube, du hast Recht. Du weißt, was das bedeutet?«
»Er begann zu ihr zu sprechen, als sie noch klein war, und formte sie allmählich hier und heute«, sagte Moril nachdenklich. »Er ist körperlos, deshalb gibt er sich für den Einen aus.«
»Wahrscheinlich, aber das meinte ich nicht«, sagte Mitt. »Denk doch nur mal darüber nach, was es bedeutet, wenn Noreth Königin wird. Sie ist vielleicht wirklich ein guter Mensch, aber wohin sie auch geht, folgt ihr diese Stimme, die ihr Kankredins Wünsche einflüstert. Und sie wird ihm gehorchen. Sie tut es die ganze Zeit.«
»Aber heute Morgen«, wandte Moril ein, »klang sie eher so sarkastisch wie dein Navis.«
»Vielleicht, aber trotzdem wird sie am Ende tun, was Kankredin verlangt«, entgegnete Mitt. »Siehst du es denn nicht? Er formt sie, wie du gesagt hast. Er sagt ihr, sie wäre die Tochter des Einen und würde Königin werden, und sie macht sich auf den Weg, um sich die Krone zu holen. Nach allem, was wir jetzt wissen, hat sie darauf aber keinen besonderen Anspruch. Alk meinte das auch. Das bedeutet, unsere ganze Reise ist nicht mehr wert als eine Wagenladung alter Holzäpfel.«
»Und was unternehmen wir nun?«, fragte Moril.
Mitt zeigte sein freudlosestes Lächeln. »Sieht fast so aus, als täte ich am besten, was die Gräfin und dein Keril von vornherein von mir wollten: sie irgendwie umbringen. Das ist vielleicht ein Lacher!«
Mitt fand es schrecklich, diese Worte auszusprechen; er hätte sich fast daran verschluckt und rief sich die nervöse, sommersprossige Noreth vor Augen – die ihn immer mehr anrührte, je besser er sie kennen lernte – wie verängstigt sie gewesen war, als der Mann sie in der Rechtsakademie angriff. Mitt staunte noch immer, wie sehr erschrocken sie gewesen war. Wenn sie herausfand, dass Mitt es auf sie abgesehen hatte, wäre sie genauso erschrocken – oder sogar noch stärker.
Er war tiefgehend erleichtert, als Moril ruhig und bestimmt »Nein« sagte.
»Aber wir müssen sie aufhalten«, wandte Mitt hoffnungsvoll ein.
»Ja, aber wenn sie stirbt«, entgegnete Moril, »würde sich Kankredin dann nicht einfach jemand anderen nehmen? Jemanden, der mehr … du weißt schon … der rücksichtsloser ist?«
Wie Navis, dachte Mitt. Das wäre schlimmer. Diese Vorstellung zerriss ein für alle Mal die geistigen Fesseln, die Keril und die Gräfin ihm angelegt hatten. »Dann müssen wir sehen, wie wir Kankredin selbst angreifen können.« In diese Richtung hatte der Alte Ammet seine Gedanken leiten wollen, begriff er. »Kann deine alte Quidder uns dabei irgendwie helfen?«
Moril legte das Kinn auf die Knie. Während er nachdachte, spielte er mit dem letzten Stück Brotkruste. »Es muss Wahrheit sein«, sagte er. »Ich glaube, wenn wir ihn wieder erwischen, wie er zu ihr spricht, könnten wir ihn zwingen, in seiner wahren Gestalt zu erscheinen. Wäre das genug?«
»Das könnte schon reichen!«, rief Mitt. »Ich habe den ein oder anderen Namen im Ärmel, den ich gegen ihn benutzen könnte, sobald ich weiß, wo er
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