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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Erde bebt
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wirklich froh, dass du all diese Leute eingeladen hast. Es wird bestimmt unheimlich lustig.»
    Heute klang sie australisch. Von ihrem siebten bis zu ihrem elften Lebensjahr hatte sie in Melbourne gelebt Jede vergnügliche oder körperlich irgendwie fordernde Aktivität brachte ihren australischen Akzent wieder zum Vorschein. Im Büro klang sie in der Regel amerikanisch. Vermutlich lag das daran, dass sie ihr Übersetzerstudium an einer New Yorker Uni absolviert hatte.
    «Hi, Luce», sagte Bob. «Du führst also die Expedition in die Berge? Ich hoffe, du hast genügend Proviant mit für den Fall, dass wir uns verirren.»
    «Mach damit keine Witze», sagte ich. «Du kennst mich nicht gut genug. Wenn ich hier die Verantwortung hätte, stünden unsere Chancen, allesamt in einen Abgrund zu stürzen oder in einem Bergrutsch umzukommen, alles andere als schlecht. Katastrophen pflastern meinen Weg. Nein, für den heutigen Tag ist Natsuko unsere Führerin, und eine sehr gute dazu. Sie kennt die besten Wanderrouten und die abgelegenen Pfade, wo einem nicht ständig Horden von Menschen über den Weg laufen.»
    «Bei diesem klaren Wetter müssten wir eigentlich ein paar gute Ausblicke bekommen», sagte Natsuko. «Ich kann's gar nicht erwarten, da oben zu sein. Ich brauche auch ein bisschen Bewegung. Den ganzen letzten Monat habe ich gesoffen wie ein Loch, und ich platze fast aus meinen Leggings.»
    Sie zog zum Beweis ihr T-Shirt eine Handbreit hoch und lachte. Sofort streiften auch Richard und Bob ihre Sachen hoch, um ihre eigenen Rettungsringe vorzuführen. Inmitten
    der prahlerischen und spöttelnden Bemerkungen ließ sich ein anämisches Stimmchen vernehmen:
    «Werden wir den Fudschijama zu sehen bekommen?» Ich hatte Lily völlig vergessen. Es überraschte mich, dass sie überhaupt von der Existenz des Fudschijama wusste, aber andererseits reichten vermutlich schon zwei Wochen in Japan, damit man gewisse Fakten mitbekam.
    «Ja, das hoffe ich.» Natsuko zeigte Lily ihre Karte. «Sehen Sie. Es gibt ein paar Aussichtspunkte entlang des Weges. Wenn das Wetter klar bleibt, bekommen wir ihn wenigstens zweimal zu sehen. Sie müssen den Fudschi ja unbedingt sehen. Das wird sozusagen Ihre Initiation. Hat jeder genug Wasser und etwas zu essen dabei?»
    Sie scheuchte uns zum Zug. Der Waggon war voll von anderen Wanderern, die alle in dieselbe Richtung wollten. Die meisten waren mittleren oder fortgeschrittenen Alters. Wenn Natsuko und ich ins Gebirge gingen, sahen wir selten Leute unter vierzig. Heute war ein typischer Morgen. Es gab reine Frauengruppen und ein paar gemischte Gesellschaften, keine einzige, die nur aus Männern bestanden hätte. Alle hatten kostspielig aussehende Wanderaccessoires - Goretex-Schuhe, Bergstöcke, schimmernde Rucksäcke und zünftige Kopfbedeckungen. Die Frauen trugen runde Hüte mit weicher Krempe. Die Männer Schirmmützen.
    Unsere Gruppe war weniger professionell ausgerüstet. Wir traten in einer bunten Mischung aus Jeans und Leggings, alten Turnschuhen, schlabbrigen T-Shirts und ohne Hüte auf; Richard trug allerdings ein rotes Stirntuch. Ich war froh, dass Bob und Richard mitkamen. Ich war in einzelgängerischer Stimmung, und in einer größeren Gruppe ist man leichter allein als in einem Trio. Natsuko war als Glucke ganz in ihrem Element; sie zeigte Lily die Wanderkarte und erklärte ihr, wie wir laufen würden.
    Die Berge von Yamanashi waren sanft und grün, und die Luft roch nach Erde, Regen und Nadelwäldern. Einen ganzen Monat lang hatte ich nur die Tokioter Luft eingeatmet, mit ihrem Geruch nach Menschen und Abgasen. Als wir am Fuß unseres Berges ankamen, war mir leicht schwummrig im Kopf.
    «Ich bin unheimlich gern auf dem Land», sagte Lily, plötzlich an meiner Seite. «Fühlen Sie sich nicht wieder wie ein Kind? Wir sind früher oft gewandert, Andy und ich, in den Yorkshire Moors und auf den Dales. Es ist schön.»
    Ich unterdrückte einen Schrei. Was musste sie ständig auf dieser gottverdammten Gegend rumreiten? Wie konnte ich mich darauf konzentrieren, in Yamanashi zu sein, wenn sie mit jedem Satz, den sie von sich gab, irgendwelche Ecken von Yorkshire hervorkramte? Ich quittierte ihre Bemerkung mit einem knappen Nicken und schloss mich Bob an. Wir gingen nebeneinanderher, bis es steil zu werden begann. Hier und da standen alte Bauernhäuser mit Gärten voll bunter Blumen und dicht belaubter grüner Bäume.
    «Ich glaube», sagte Bob, «Lily lebt sich langsam ein. Dank dir.»
    «Ich hab

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