Jones, Susanna
eigentlich nichts gemacht. Die Wohnung zu finden war ganz einfach.»
«Sie ist jetzt selbstsicherer. Und Japanisch lernt sie auch noch. Sie sagte, du hättest sie dazu gebracht.»
«Na ja, wenigstens ein paar Sätze musste sie doch sagen können. Auf Englisch redet sie weiß Gott genug.»
Bob lächelte. «Du bist eine gute Japanischlehrerin. Beim Zahnarzt damals wäre ich ohne dich aufgeschmissen gewesen. Was machen deine Zähne?»
«Keinerlei Probleme. Und deine?»
«Noch ein paar Sitzungen nötig. Aber bald ist es ausgestanden. Schön, diese Bäume.»
Wir hatten die Straßen und Häuser hinter uns gelassen und gingen jetzt einen Waldweg entlang, der von hohen Kiefern gesäumt war. Sie standen reglos und stumm, wie atmende Statuen. Wir begannen den Aufstieg. Ein Bach floss den größten Teil des Weges neben uns her, und wir mussten ihn ein paar Mal überqueren. Bob und ich halfen uns gegenseitig hinüber und warteten dann auf die anderen. Als es steiler und anstrengender wurde, verebbte das Geplauder zu vereinzelten Bemerkungen, schließlich zu völliger Stille, die nur vom Geräusch unseres Atems und unserer Schritte unterbrochen wurde. Das ist immer der Teil der Wanderung, den ich am liebsten mag, wenn man alle Wörter und Sätze aus sich herausgeredet hat und die Leute nach und nach in ihre eigenen Gedanken und Träume versinken.
Nach ein paar Stunden erreichten wir einen bescheidenen Gipfel. Wir konnten ringsum meilenweit sehen. Ferne Berge und Täler, kleine Dörfer und Reisfelder. Natsuko konsultierte ihren Führer.
«In dieser Richtung müssten wir den Fudschijama sehen können.» Sie deutete auf eine Kette von höheren Bergen unter einer Decke von blauem Himmel. Wir scharten uns um sie, sahen vom Fudschi aber keine Spur.
«Groß genug ist er ja», sagte Richard. «Wenn er da wäre, würden wir ihn auch sehen. Das Buch muss sich irren.»
«Nein.» Bob sah durch sein Fernglas. «Es ist nur zu dunstig. Ich glaube, der Fudschi hält sich heute vor uns versteckt.»
Lily legte mir eine Hand auf die Schulter und deutete mit der anderen in den Himmel. «Was ist das?»
Ich sah in die Richtung. Über den Graten der anderen Berge war leerer Raum. Aber höher am Himmel, als schwebte er im Blau, war der unverwechselbare Kegel des Fudschi zu sehen. Es schien keinerlei Berg darunter zu sein, lediglich die Silhouette des Gipfels am Himmel.
«Er sieht wie ein Geist aus», sagte ich.
«Können Berge einen Geist haben?», fragte Natsuko.
«Ich weiß nicht.»
Richard setzte sich auf den Felsgrat und öffnete seinen Rucksack, um sein Lunchpaket herauszuholen. «Warum nicht? Er ist ein toter Vulkan. Wenn er tot sein kann, warum soll er dann nicht auch einen Geist haben können?»
«Er ist erloschen. Das ist nicht genau das Gleiche wie tot. hat die persönliche, individuelle Konnotation, die erst eines Geistes würdig ist», gab Bob, der Englischlehrer, zu bedenken.
«Auf Japanisch ist es dasselbe. Das Wort für «erloschener Vulkan> ist shikazan. Es bedeutet oder . Ich sehe nicht ein, warum er keinen eigenen Geist haben sollte.» Natsuko schirmte sich die Augen gegen die Sonne ab, um besser sehen zu können.
«Ich denke, ihr werdet noch merken, dass es nur eine optische Täuschung ist», sagte Bob.
«Das wissen wir», sagte Natsuko. «Aber wir möchten uns lieber vorstellen, dass es ein Geist ist. Es sieht gespenstisch aus, übernatürlich. Wenn ich bei meinen Eltern ausziehe und mir eine eigene Wohnung nehme, möchte ich unbedingt einen Blick auf den Fudschijama haben. Das ist für mich das Wichtigste. Ich möchte jeden Tag aus dem Fenster schauen und ihn sehen können. Mehr wünsche ich mir nicht. Wenn ich das hätte, wäre ich bestimmt für den Rest meines Lebens glücklich.»
Ich lächelte sie an und wandte mich zum Gipfel am Himmel. Nach und nach hatten die anderen genug von der Aussicht und setzten sich zum Essen auf den Boden. Lucy konnte sich nicht losreißen und fragte sich, was für ein Bild Teiji wohl davon gemacht hätte, wenn er da gewesen wäre. Diese Aussicht war wie für Teiji geschaffen. Lucy konnte kaum glauben, dass er nicht bei ihr war. Dann erinnerte sie sich an die Fotos in dem Karton, und ihr Gesicht glühte.
«Das sind persönliche Dinge», hatte er gesagt. «Ich denke nicht mehr an Sachi.»
Sachi. Ich würde für immer an sie denken. Ihre zornigen Augen, ihr Gesicht, das mit jedem Bild weißer und aufgedunsener wurde. Die Partys, auf denen sie
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