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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Erde bebt
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nach Teijis Spiegelbild. Ich erhoffte mir von ihm Worte des Trostes, aber ich fand nur Schildkröten und Karpfen. Ich war betrunken. Mir war damals nicht nach Essen, und so hatte ich Gin gefrühstückt. Das ist eine angenehme Art, den Tag zu beginnen. Bevor das Glas leer war, hatte ich das Gefühl, als sei der Tag schon gelaufen, mir aus den Händen genommen, und als hätte ich die Freiheit zu tun, was immer mir beliebte. Ich schlenderte am Schilf und den Seerosen vorbei und schaffte es nicht, den Blick auf etwas zu konzentrieren. Ein Überfluss an Farben - kornblumenblauer Himmel, grünköpfige Enten, eine scharlachrote Holzbrücke -pulsierten verschwommen. Am Teich stand ein Schrein, und ich fragte mich, ob es wohl in Ordnung wäre, wenn ich davor in die Hände klatschte und ein Gebet für Lily und Teiji sprach. Ich entschied, dass es wahrscheinlich besser wäre, in volltrunkenem Zustand nicht zu beten, und sah lieber den Karpfen beim Schwimmen zu.
    Auf einer Bank direkt vor mir streckte sich ein junger Mann in der Sonne aus. Er konnte ein Jogger sein, denn er trug schlabbrige Shorts, und sein Oberkörper war nackt. Er hatte braune Haut und langes schwarzes Haar, das zu einem Pferdeschwanz gebunden über die Kante der Bank hing. Seine Brust glänzte in der Sonne, während sie sich mit seinen Atemzügen sanft hob und senkte. Hinter ihm wiegte sich sacht das Schilf, und Fliegen summten herum. Der ganze Ort schien mit ihm zu atmen, als füllte jeder seiner Atemzüge die Lungen der Erde. Ich starrte über ihn hinweg, aufs Wasser und den hölzernen Schrein, aber ich sah nichts anderes als dieses dichte schwarze Haar, diese gewölbten Augenlider, diese schimmernde braune Haut
    Ich setzte mich zwischen strotzenden rosa Azaleen auf den Boden und machte die Augen zu, während die Erde sich hob und senkte wie das Deck eines Schiffs. Ich sehnte mich furchtbar nach Teiji, nach dem Gefühl seiner Haut unter meinen Fingern, aber ich würde ihn niemals, niemals wieder sehen. Als ich mich ein paar Stunden später übergab, machte ich nicht den Alkohol dafür verantwortlich, sondern den Seegang.
    7
     
    Das Nudellokal war gut gefüllt. Wie immer waren die meisten Gäste Männer. Geschäftsleute, junge und alte, Studenten. Frauen waren nur wenige da, sie saßen, zu zweit oder allein, mit dem Gesicht zur Wand. Ich konnte das Essen fast durch die Glasscheibe riechen - die gehackten Schalotten, die Fleischstückchen, den Gerstentee. Ich drückte die Tür auf und trat ein, dicht gefolgt von Lily. Im Gehen schrappte ihre Schuhspitze zweimal an meinem Absatz. Ich wünschte mir, sie würde hinter mir hervorkommen, aber ich wusste, dass sie sich gern versteckte. Sie hatte es genauso gemacht, als wir auf Wohnungssuche gegangen waren, hatte mich in die Schusslinie geschoben und sich hinter mich geduckt. Ich hielt nach Teijis Gesicht Ausschau, aber ich konnte ihn nicht sehen. Sein Onkel nickte mir über den Tresen hinweg zu. Es war nicht direkt ein feindseliger Blick, aber ich wusste, dass er misstrauisch war. Er sah mir immer ein paar Sekunden lang direkt in die Augen und wandte dann den Blick ab, zu einem Fleck auf dem Fußboden oder einer Stuhllehne. Ich fand, es war ein trauriger Blick, dabei wusste ich nicht, warum er hätte traurig sein sollen. Ich hätte gern gewusst, was er von Sachi gehalten hatte, der seltsamen Schauspielerin.
    Ich sagte mit munterer Stimme konnichiwa und führte Lily an ihm vorbei zum einzigen freien Tisch. Sobald wir saßen, wurde mir bewusst, dass ich der Küche den Rücken zukehrte. Das war schlecht, weil es mir so nicht möglich sein würde, nach Teiji Ausschau zu halten, ihn mit einem kleinen Schauder zu erspähen, wie er irgendeine Fläche abwischte oder einen Schrank öffnete, bevor er mich sah und zu uns an den Tisch kam. Ich wollte gerade Lily bitten, mit mir den Platz zu tauschen, aber ich hatte den Mund noch nicht aufgemacht, als ich dicht hinter mir Teijis Gegenwart spürte. Es war etwas wie eine Wärme, ein Sog, und ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück, bis mein Kopf seine Brust berührte, wie ein Magnet, der an einen anderen klackt. Lily sah hoch, über meinen Kopf hinweg und wieder zurück zu mir. Ich konnte ihr nicht ansehen, wie sie ihn fand, sie wirkte allerdings etwas befangen. Sie wartete darauf, dass ich etwas sagte. Lily war der erste Mensch aus meinem Freundeskreis, den ich mit Teiji bekannt machte. Es bereitete mir ein seltsames Gefühl, so als ließe ich jemanden an einem sehr intimen

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