Jordan, Penny
ein bisschen zu keltisch. Aber ich glaube, das liegt an seinem Jurastudium. Der gute Mann ist sehr phlegmatisch, fest und unerschütterlich, auch wenn es Spaß macht, ihn zu reizen.“
Rachel dachte über seine Worte nach, während er ihr Handgelenk ergriff, damit sie nicht fortlief. Sie hatte den Eindruck, dass Tim seinen Wohnungsgenossen nicht sonderlich mochte, und sie erschauderte ein wenig bei der Erinnerung an den kühlen prüfenden Blick des jungen Mannes.
„Miles ist uns ein bisschen ein Rätsel“, fuhr Tim fort. Er fasste in seine Jackentasche und zog ein Päckchen Zigaretten heraus. „Möchtest du eine?“
Rachel schüttelte den Kopf und sah zu, wie er eine Zigarette herausholte und anzündete. Dabei lächelte er seltsam. Als er den Rauch ausstieß, wusste sie, weshalb. Der unverkennbare Geruch von Haschisch umgab sie. Eines der Zimmermädchen hatte sie über den süßlichen, ungesunden Geruch aufgeklärt, der aus einem Gästezimmer kam. Dieser Geruch schien manchmal gewisse Teile von Oxford zu durchdringen, und Rachel wich instinktiv zurück. Die Großmutter hatte ihr einiges von ihrem Wissen über die Kräuter und deren Verwendung weitergegeben, und sie hatte sie auch über die Gefahren des Missbrauchs aufgeklärt.
Die Haustür öffnete sich, bevor sie etwas zu Tim sagen konnte, und sie betrachtete den jungen Mann, der zu ihnen herauskam.
Wie Tim trug er Jeans und ein Baumwollhemd. Sein Mund wurde schmal, sobald er ebenfalls den Geruch der Zigarette wahrnahm.
„Der ehrenwerte Miles!“, zog Tim ihn auf, der den Gesichtsausdruck bemerkte hatte. „Meine Güte, was für ein Rechtsanwalt wirst du werden, wenn du nicht selbst die Freuden und Gefahren des Lebens kennengelernt hast?“
„Ich brauche keine Joints zu rauchen, um zu wissen, dass sie deinen Verstand vernebeln.“ Miles besaß eine viel tiefere Stimme als Tim, und sie klang jetzt spöttisch und deutlich verärgert. „Komm, gib nicht so an gegenüber deiner Freundin. Ich muss weiterarbeiten.“
Er kümmerte sich nicht um Rachel, sondern schob Tim zur Treppe.
Rachel blieb stehen, denn sie ärgerte sich über seine Gleichgültigkeit. Tim drehte sich noch einmal zu ihr und rief über die Schulter. „Wir sehen uns bald wieder, Zigeunerin.“
Rachel machte kehrt und wanderte durch die länger werdenden Schatten des viereckigen Hofes. Natürlich würde sie Tim nicht wiedersehen, sonst musste sie ihm klarmachen, dass sie nicht mit ihm ins Bett ging. Gegen Ende der Siebzigerjahre war Sex frei und ungezwungen – ein neues Spielzeug, das ausprobiert werden wollte.
Doch Rachel hatte zu sehr unter dem leichtfertigen Verhalten ihrer Eltern gelitten, um sich jemals unbekümmert dem Sex hinzugeben. Ihrer Mutter hatte er den Blick für die Gefährlichkeit dessen, was sie tat, verstellt. Sie, Rachel, war entschlossen, dafür zu sorgen, dass niemals irgendetwas eine derartige Macht über sie erhielt.
An diesem Abend kam sie zu spät zur Arbeit. Bernadette runzelte die Stirn, als sie hinter der Theke auftauchte.
„Wells hat schon nach dir gefragt!“, schimpfte sie.
In den Siebzigerjahren war es einfach, einen Job zu bekommen. Außerdem arbeitete Rachel nicht nur fleißig, sie war auch nett anzusehen. Deshalb verzieh ihr George Wells die kleine Verspätung. Allerdings behielt er sie da, nachdem die anderen gegangen waren, und ließ sie die letzten leeren Gläser von den Tischen einsammeln.
Es war dunkel, als Rachel endlich hinausging, und die Straße war leer. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihren Arm, und sie hielt vor Angst die Luft an.
„Hallo, Zigeunerin, ich dachte, du würdest nie herauskommen!“
Sie erkannte die Stimme sofort und blickte in Tims strahlend blaue Augen.
„Lass uns irgendwo hingehen, wo wir reden und uns besser kennenlernen können“, schlug er vor. „Ich möchte alles über dich erfahren, Zigeunerin.“
Der Geruch von Marihuana ging immer noch von ihm aus, und seine Finger, die sich zwischen ihre schoben, waren heiß. Rachel wollte sich losmachen, doch ein Teil von ihr drängte sie zu bleiben. Er war so anders … Und sie wollte mehr erfahren über seinen Lebensstil.
Rachel ahnte instinktiv, dass Tim aus einer reichen Familie stammte und ein Leben lang beschützt und umsorgt aufgewachsen war. Von solch einem Leben hatte sie bisher nur aus zweiter Hand erfahren, aus Büchern. Sie wollte wissen, woran es lag, dass Tim so selbstsicher war und weshalb ihn die täglichen Wagnisse des Lebens nicht erschüttern
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