Jordan, Penny
Deshalb dauerte es mehr als ein Jahr, bis er richtig dazugehörte.
Es war eine zermürbende, anstrengende Zeit, vor allem weil er abends noch weiterlernen musste. Da er niemanden hatte, der sein Studium finanzierte, arbeitete er in seiner Freizeit und übernahm die unterschiedlichsten Tätigkeiten. In einer Bar eines teuren Klubs im Londoner West End erfuhr er schließlich von einer Agentur, die gut aussehende junge Männer als Begleiter für ihre weibliche Kundschaft suchte.
„Und wie ist die Bezahlung?“, erkundigte sich Miles bei einem Kollegen.
„Gut. Außerdem bekommt man noch einen Smoking gestellt.“
„Weshalb arbeiten Sie dann hier?“, fragte Miles trocken.
„Ich habe mich danebenbenommen – mich zu stark mit einer Kundin eingelassen. Leider fand ihr Ehemann es heraus und beschwerte sich. Deshalb bin ich hinausgeflogen.“
Als Begleiter zu arbeiten – dafür bezahlt zu werden, um reichen älteren Frauen Gesellschaft zu leisten –, das war so ziemlich das Letzte, was Miles sich wünschte. Aber er brauchte neue Fachbücher, und sein Mitbewohner heiratete demnächst und wollte die Wohnung für sich selbst.
Halbherzig rief er die Agentur an und machte einen Vorstellungstermin aus.
Marilyn Vernon hatte die Agentur gegründet, nachdem sie gemerkt hatte, dass sich immer mehr Frauen scheiden ließen. Meistens waren sie Ende dreißig und besaßen genügend Energie und Geld, um sich zu amüsieren. Doch sie standen noch so sehr unter dem Einfluss ihrer Erziehung, dass sie nicht ohne männlichen Begleiter ausgingen.
Marilyn achtete strikt darauf, dass ihre Agentur tatsächlich ausschließlich seriöse Begleiter vermittelte. Anschließend konnten die jungen Männer mit ihren Kundinnen ausmachen, was sie wollten. Aber das musste privat bleiben.
Sie erkannte sofort, dass Miles French aus der Reihe der jungen Männer aus guter, aber mittelloser Familie herausragte, die sie normalerweise beschäftigte. Trotz seiner relativen Jugend besaß er eine männliche Ausstrahlung, die ihr Interesse erregte. Sie stellte ihm dieselben Fragen wie allen Bewerbern, und Miles beantwortete sie offen und ehrlich.
Als er erzählte, dass er Anwalt werden wolle, zog sie ein wenig die Augenbrauen in die Höhe. Er bemerkte ihr Erstaunen und erklärte, wenn ihre Agentur tatsächlich das sei, was sie vorgebe, brauche er doch keine Skrupel zu haben.
„Ich kann hier mehr verdienen als in der Bar. Aufrichtig gesagt: Ich brauche das Geld.“
Um Miles zu prüfen, beauftragte Marilyn ihn damit, eine Frau in die Oper zu begleiten. Lady Pamela Dulwich war eine ihrer reichsten und schwierigsten Kundinnen. Sie besaß einen scharfen Verstand und hatte eine Schwäche für junge Männer.
Marilyn wusste im Voraus, was Lady Pamela Miles vorschlagen würde. Nahm er an, war er für ihre Agentur nicht geeignet.
Sie wusste nicht recht, ob sie erfreut oder enttäuscht sein sollte, als Miles am nächsten Morgen anrief und ruhig erklärte, es habe sich wohl um ein Missverständnis gehandelt. Er sei nicht bereit, jene Dienste zu leisten, die Lady Pamela wünsche.
Marilyn stellte ihn ein. Sie wäre dumm gewesen, es nicht zu tun, und Miles, der die Arbeit ursprünglich aus rein finanziellen Erwägungen angenommen hatte, empfand im Lauf der Monate immer mehr Verständnis und Mitleid mit den einsamen Frauen, die ihn als Begleiter engagierten.
Nur wenige machten ihm sexuelle Angebote. Seine selbstbewusste Art von Männlichkeit verbot dies beinahe.
Eine seiner Lieblingspartnerinnen war Lady Ridley. In der Blüte ihrer Jahre war sie eine bekannte Opernsängerin gewesen. Doch dann hatte sie geheiratet und war Hausfrau und Mutter geworden. Inzwischen war sie über sechzig und erklärte, sie sei viel zu alt, als dass irgendjemand sie schief ansehen könne, wenn sie sich von einem gut aussehenden jungen Mann begleiten ließ.
Miles mochte sie. Sie besaß einen scharfen Verstand und befasste sich intensiv mit den Lebensbedingungen der Menschen, sodass er sich stundenlang mit ihr unterhalten konnte. Ihre Beziehung glich beinahe einer zwischen Großmutter und Enkel. Lady Ridleys einzige Tochter lebte in Australien. Nur eine Patentochter kam regelmäßig zu Besuch.
Miles hatte sie noch nicht kennengelernt, wusste aber eine Menge über sie. Amanda Courant war das einzige Kind eines außerordentlich reichen und sehr exzentrischen schottischen Adeligen. Gleich nach Beendigung der Schule war sie auf Betreiben ihres Vaters mit einem Vetter zweiten Grades
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