Jorina – Die Jade-Hexe
weichen, sommerblauen Samt unter ihren Fingern gespürt, der in reichen Falten um sie schwang. Sie hätte nicht dieses Gefühl von Streicheln auf ihrer Haut empfunden, wo das hauchzarte Hemd aus dünnem Leinengespinst sie berührte. Ein seidig dünnes Hemd, das sie bis zu den Waden hinunter in schneeigem Weiß bedeckte, nachdem Mahaut es ihr über den Kopf gezogen hatte.
Aber damit waren die Überraschungen nicht zu Ende gewesen. Ihre Beine verschwanden unter weißen Strümpfen, die unterhalb des Knies mit bestickten Bändern gehalten wurden, ihre Füße steckten in weichen, dunkelblauen Lederschuhen. Ein steifer, dick gefütterter Wollunterrock, mit Bändern um ihre Taille geschnürt, gab dem Untergewand aus vergissmeinnichtblauer Wolle Halt, und am Ende hatte die Magd die Schlaufen der ärmellosen Samttunika darüber geschlossen, die alles andere noch an Pracht übertraf.
Die weiten Ärmel des Untergewandes fielen bauschig auf ihre Handgelenke, wo sie mit dünnen Silberkordeln geschlossen wurden. Eine Silberkordel lief in verschlungenen Linien auch über die Säume der Tunika, und ein passend besticktes Band begrenzte den tiefen V-Ausschnitt der Robe, in dem das Untergewand lediglich den verlockenden Ansatz von Jorinas vollen Brüsten in einem sittsamen Dekolleté präsentierte.
Es war ein hübsches Kleid, das weder mit Rauchwerk noch mit aufgestickten Juwelen protzte, aber Jorina wagte nicht einmal, sich damit zu setzen. Sie fürchtete, das Wunderwerk mit Falten zu verunzieren oder gar bei einer unbedachten Bewegung eine der feinen Nähte zu sehr zu beanspruchen. Dass es von seinem langen Aufenthalt in einer Truhe bereits Falten hatte und ein wenig nach Moder und Stockflecken roch, fiel ihr nicht auf.
Ein beunruhigendes Durcheinander von Fragen in ihrem Kopf lenkte sie immer wieder ab: Weshalb hatte man sie so reich gekleidet? Was wollte Paskal Cocherel von ihr? Wie konnte sie sich gegen seine Wünsche zur Wehr setzen? Wie sich für den Ritter verwenden, der ihretwegen in diese schreckliche Lage geraten war? Weshalb kam niemand, um sie zu holen?
Das grelle Licht der vielen Kerzen schmerzte in Jorinas Augen, und sie lehnte sich gegen die Kante des großen Tisches vor dem Fenster, während sie die Lider schloss. Sie schwankte und sank endlich doch auf den Stuhl mit der geschnitzten Lehne. Sie war inzwischen so mitgenommen, dass ihr mittlerweile fast alles egal war. Sie riss die Augen noch einmal auf, doch die Flammen der Kerzen verschwammen vor ihren Augen, und ihre Lider wurden schwerer. Wie müde sie doch war, wie entsetzlich müde. Sie legte die Arme auf die Tischplatte, und ihr Kopf sank nach unten ...
Als der Herzog von St. Cado das Gemach betrat, verharrte er unter der Tür, um das Bild zu betrachten, das sich ihm bot. Die dicken Honigkerzen warfen ihren warmen Schein auf die schmalen Schultern des schlafenden Mädchens, das in einer Wolke aus blauem Samt über Stuhl und Tisch hingegossen lag, als habe sie die Kraft verlassen, aufrecht zu sitzen.
Die offenen Haare, die fast bis auf den Boden hingen, wirkten fast zu schwer für sie. Das ist genau die Art von unschuldiger Madonna, welche die Äbtissin von Sainte Anne unter ihre Schäfchen aufgenommen hätte, dachte er zynisch und warf die Tür hinter sich zu. Eine ahnungslose Schönheit, die so tief schlief, dass sich bei dem Lärm nicht einmal der Rhythmus ihres Atems änderte. Sowohl die Ruhe wie auch die Reinheit, die von Jorina ausgingen, verärgerten den Söldnerführer. Es waren Dinge, die seinem Leben fehlten und die er schon aus Selbstschutz gering achtete.
Seine Hand fuhr grob in die seidige Masse der dichten Haare und riss das Mädchen mit brutaler Gewalt aus dem Schlummer und hoch in eine sitzende Position. »Komm zu dir, Dirne, ich habe mit dir zu reden!«
Jorina schlug mit einem Wehlaut die Augen auf. Der Ton erstickte in ihrer Kehle, als sie direkt in kalte, gelbe Augen sah, die von schweren Lidern beschattet wurden. Sie begriff instinktiv, dass sie keine Schwäche zeigen durfte, wenn sie auch nur den Hauch einer Chance haben wollte, gegen ihn zu bestehen.
Paskal Cocherel bemerkte wütend, wie in den klaren blaugrünen Augen der erste Schreck trotziger Tapferkeit wich. Ein hartnäckiger Trotz, der ihm Schwierigkeiten ankündigte, wo er gehofft hatte, allein durch Angst und Schrecken siegen zu können. Sein Blick glitt über das blaue Gewand, das ihre Schönheit so herausfordernd unterstrich. Ja, diese Kleider passten besser zu ihr als die
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