Jorina – Die Jade-Hexe
ihnen noch zu klären war, ehe er mit seinem Leben abschloss.
»Habt Ihr dem Mädchen ebenfalls eure fabelhafte Gastfreundschaft angeboten und es in einem dieser Löcher angebunden?« erkundigte er sich brüsk.
»Schau an, mir scheint, Euch liegt tatsächlich etwas an der Kleinen«, sagte St. Cado erfreut und klatschte die Lederriemen in die offene Hand. »Was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch erzähle, dass ich eben von Eurem Goldstück komme?«
Es machte den Eindruck, als habe er jene Peitsche, die er so liebevoll tätschelte, bei Jorina ausprobiert, und der junge Ritter in den Ketten konnte nicht verhindern, dass ihm das Blut in die Stirn schoss. Schon der eine Peitschenhieb in Penhors hatte genügt, dass er sich in die schlimmste Dummheit seines Daseins stürzte.
»Sie hat nichts mit der Angelegenheit zwischen uns zu tun«, erwiderte er und zwang sich unter Aufbietung aller Beherrschung zur Ruhe. »Eure Männer haben sie im Wald von Penhors aufgegriffen. Sie hielten sie für die Tochter einer angeblichen Hexe, aber das ist ...«
»Eine Lüge, mein Freund. Glaubt Ihr, das weiß ich nicht?« Paskal Cocherel trat zu ihm und stieß ihm den Peitschenstiel mit dem Knauf unter das Kinn, dass sein Kopf gegen die Steine knallte. »Tut mir den Gefallen und haltet mich nicht für einen Narren. Wir beide wissen, wer dieses Mädchen ist, also bemüht Euch nicht weiter, mir dumme Geschichten zu erzählen!«
Der Gefangene versuchte sich weder seine Sorge noch seinen brummenden Schädel anmerken zu lassen. Der Herzog allerdings, der auf jede Regung von ihm lauerte, bemerkte, dass sich seine Halsmuskeln verkrampften. Ein neuerlicher Ruck mit der Peitsche ließ Raouls Zähne aufeinander klappern. Unter höhnischem Gelächter trat sein Peiniger einen Schritt zurück.
»Damit wir uns richtig verstehen, ich weiß, dass die Kleine Novizin im Kloster von Sainte Anne d’Auray war. Die Äbtissin dieses Hühnerhaufens war sowohl für ihren Adelsstolz wie für ihre Frömmigkeit bekannt.«
Die Novizin eines Klosters? Raoul schwankte zwischen Unglauben und der Erkenntnis, dass es sehr wohl möglich sein könnte. Es erklärte so vieles in Jorinas Verhalten. Aber weshalb hatte sie das Kloster verlassen? Weshalb sich unter die Mägde gemischt, die nach der Schlacht die Verwundeten versorgten? Es gab einfach keine vernünftige Erklärung dafür. Er versuchte den drohenden Peitschenstil zu ignorieren und erwiderte den eisigen Blick Cocherels mit provozierender Gleichgültigkeit.
»Ich weiß nichts von dem Mädchen. Eure Männer haben sich in Penhors an der Kleinen vergriffen, und es interessiert mich nicht, ob sie Novizin oder Magd ist. Laßt sie laufen!«
Das Gelächter des Herzogs hallte von der niedrigen Steindecke des Verlieses wider.
»Ich wusste, dass es mir Vergnügen bereiten würde, mit Euch zu sprechen!« meinte er. »Schreibt Euch Euer vortrefflicher ritterlicher Ehrenkodex in einem solchen Fall vor, dass Ihr Euch für die Unversehrtheit dieser reinen Seele opfern müsst? Der edle Held für die Jungfer in Gefahr? Ja, natürlich müsst Ihr es tun, immerhin hat sie Euch vor dem Kerker in Rennes gerettet!«
Er machte sich über ihn lustig. Raoul ahnte es, aber er konnte trotzdem nicht verhindern, dass er vor Wut über diesen schändlichen Schurken kochte. Was wusste Cocherel sonst noch? Und von wem wusste er es? Von Jorina? Trotz allem konnte er es nicht glauben. Sie hatte dem Scheiterhaufen in Penhors getrotzt, sie würde auch diesem Schurken Widerstand entgegensetzen.
»Gebt sie frei, sie ist unwichtig!« forderte er, ohne auf den Hohn des älteren Mannes einzugehen. »Euch liegt doch ohnehin nur an mir. Ich befinde mich in Eurer Gewalt, was wollt Ihr mehr?«
»Was ich will? Verdammter Narr! Den Stern von Armor will ich!«
»Was faselt Ihr?« Raoul kämpfte mit aller Kraft gegen seine Ketten, obwohl er wusste, dass es keinen Sinn hatte. Aber der Schmerz in seinen Armen bewahrte ihn wenigstens davor, in jenen gefährlichen Zustand matter Benommenheit zu sinken, nach dem es seinen erschöpften Körper verlangte. Er musste einen klaren Kopf behalten!
Der Herzog trat so nah, dass Raoul den Weingestank seines Atems riechen konnte. Er zischte ihm seine nächsten Worte ins Gesicht. »Jenen Stern von Armor, den Eure liebenswürdige Begleiterin von der Äbtissin in Sainte Anne erhalten hat! Habt Ihr gehofft, ich wüsste nichts davon?«
Der Gefangene brauchte seine Verblüffung nicht zu spielen. Zwar weckte der Name irgendeine
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