Jorina – Die Jade-Hexe
Ihr helfen!«
»Messire Raoul?« wiederholte die Dame und ließ sich in einem der gepolsterten Stühle nieder. »Von wem sprecht Ihr, Jungfer?«
»Von Raoul de Nadier«, entgegnete Jorina. »Man sagt, er soll nach dem Dreikönigstag hingerichtet werden, weil er den Herrn von Blois in der Schlacht vor Auray verraten hat. Aber das ist eine Lüge. Er ist unschuldig! Man muss es dem Herzog sagen, er darf ihn nicht töten lassen. Bitte, glaubt mir, es ist alles das Werk eines anderen Mannes, der Karl von Blois auf diese Weise loswerden wollte ...«
»Gütige Mutter Gottes«, seufzte Lucille de Tréboule und studierte die angstvollen türkisfarbenen Augen, in denen ungeweinte Tränen schimmerten. »Was habt Ihr mit Raoul de Nadier zu schaffen? Soweit ich weiß, hat er weder Schwestern noch Cousinen ...«
»Ich zähle auch nicht zu seiner Familie«, gab Jorina zu. »Aber Ihr müsst mir glauben, dass ich trotzdem die Wahrheit sage. Paskal Cocherel, der Söldner-Herzog, wollte sich an ihm rächen und hat ihm eine Falle gestellt. Der Mann mit der Standarte, der die Männer ins Moor führte, trug zwar die Rüstung des Seigneurs, aber es war nicht Raoul de Nadier! Man hatte ihn niedergeschlagen und beraubt ...«
»So beruhigt Euch, Kind!« Die Edelfrau stand wieder auf und berührte besänftigend ihre Schulter. »Es wäre zu schön, wenn Eure Worte der Wahrheit entsprächen, aber habt Ihr auch nur einen einzigen, überzeugenden Beweis dafür? Andernfalls steht Euer Wort gegen das eines Mannes wie Paskal Cocherel, der Jean de Montfort vor Auray zum Sieg verholfen hat!«
»Mein Wort käme zumindest aus einem ehrlichen Herzen«, flüsterte Jorina rauh. »Cocherel ist ein Teufel in Menschengestalt!«
»Das klingt, als würdet Ihr auch diesen schrecklichen Seigneur kennen ...«
»Ich bin vor Kurzem aus seiner Burg geflohen«, gab Jorina zu.
»Was ... in der Tat?« Lucille de Tréboule machte für einen Moment den Eindruck, als würde sie über einen verborgenen Scherz schmunzeln. »Mir scheint, der alte Gauner hat in den letzten Wochen ein wenig Pech mit den Mädchen, die er gefangenhält. Wie um Himmels willen seid Ihr in seine Gewalt geraten?«
»Das ist eine lange Geschichte«, gestand Jorina widerstrebend ein. Sie hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, der Dame Tréboule auch ihre eigenen verworrenen Abenteuer zu schildern.
»Ich liebe lange Geschichten«, ermunterte sie die Oberhofmeisterin und goss einen silbernen Becher mit dem Gewürzwein voll, der auf dem Kaminrost vor sich hindampfte. »Trinkt einen Schluck und rückt näher ans Feuer, damit Eure Kleider trocknen, während Ihr mir alles erzählt. Bisher habt Ihr nicht mehr getan, als meine Neugier geweckt ...«
Jorina kapitulierte. Einmal mehr begann sie alles zu erzählen. »Ich habe bis zur Schlacht von Auray im Kloster der heiligen Anna von Auray gelebt und ...«
»Als Novizin?« fiel ihr Dame Tréboule so heftig ins Wort, dass Jorina erschrocken zusammen fuhr.
»Woher wisst Ihr ...«
»Sagt Euch der Name Graciana etwas?«
Jetzt war es an Jorina zu staunen. »Natürlich, auch sie war eine unserer Novizinnen. Ich kannte sie nicht sehr gut, die Mutter Äbtissin hatte sie unter ihren Schutz genommen und sich um ihre Ausbildung gekümmert. Anfangs habe ich sie um diese Aufmerksamkeit beneidet ...«
»Danach nicht mehr?«
»Mutter Elissas Aufmerksamkeit war nicht gleichbedeutend mit den Gefühlen, die ich dahinter vermutete«, antwortete Jorina und stellte voll Erstaunen fest, dass sie plötzlich Dinge begriff, die sich ihr bis vor Kurzem verschlossen hatten. »Sie forderte immer nur, ohne etwas dafür zu geben. Sie war eine strenge Herrin.«
Lucille de Tréboule studierte das ovale Antlitz ihrer Besucherin mit höchstem Interesse. Welche seltsame Fügung hatte sie von Neuem mit den Novizinnen von Sainte Anne in Verbindung gebracht?
»Weshalb wendet Ihr Euch ausgerechnet an mich, Kind?« unterbrach sie Jorinas Erzählung neugierig.
»Ich habe Euch reden hören, in der Kirche, nach der Messe am Sonntag«, gab Jorina zu. »Ihr habt mit Dame Suzelin über das Schicksal des Seigneurs gesprochen, und ich gewann den Eindruck, Ihr würdet gleich mir nicht an seine Schuld glauben ...«
»Damit hast du recht.« Dame Lucille seufzte. »Ich schätze den jungen Ritter sehr, und ich habe mich lange in der Hoffnung gewogen, dass er vielleicht eine meiner Töchter zur Frau nehmen würde.«
»Wieso hat er es nicht?« Nun wurde auch Jorina neugierig.
Ihre
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