Jorina – Die Jade-Hexe
fuhr empört hoch. »Hat die Dame de Tréboule es nicht erzählt? Der Seigneur ist einem Komplott des Herzogs von St. Cado zum Opfer gefallen. Er wollte sich an ihm rächen, weil er seine Eheschließung mit Dame Suzelin hintertrieben hat, und gleichzeitig benützte er ihn, um sich des Herrn von Blois zu entledigen. Je weniger Rivalen es um die Herrschaft in unserem Land gibt, um so günstiger ist es für seine Pläne!«
Jean de Montfort hatte mehrmals versucht, Jorina zu unterbrechen, aber erst, als die nach ihrer leidenschaftlichen Rede Atem holen musste, gelang es ihm.
»Ihr verlangt Unmögliches!« rief er aufgebracht. Wie kam sie dazu, ihn anzuschreien? »Soll ich eine solche Fabel glauben? Wo sind Eure Beweise? Ich dagegen habe mehr als eine Aussage, dass ein Ritter, auf dessen Waffenrock das Wappen der Nadiers glänzte, meinen Vetter und seine Männer in den tödlichen Sumpf geführt hat.«
»Ein Waffenrock ist Euer einziger Beweis?« rief Jorina nicht weniger heftig. »Man hat den Seigneur niedergeschlagen und seiner Rüstung beraubt. Ein Schurke, der St. Cado dient, ein gewisser Luc de Feu, hat seine Rolle gespielt und für das Unheil gesorgt. Als man am nächsten Morgen den entkleideten, schwerverletzten Ritter auf dem Schlachtfeld fand, nahm natürlich jeder an, erst die Leichenfledderer hätten ihn seiner Rüstung beraubt, aber das stimmt nicht!«
Die flammende Entschiedenheit, mit der Jorina dies vorbrachte, rötete ihre Wangen und vertiefte das Grünblau ihrer Augen. Trotzdem war der Herzog nicht bereit, sich von dieser Schönheit rühren zu lassen.
»Hat er Euch dieses Märchen aufgebunden, als Ihr ihn gepflegt habt? Ich will es Euch nachsehen, dass Ihr ein weiches Herz habt, aber ...«
»Ich habe es aus Paskal Cocherels eigenem Mund vernommen«, fiel ihm Jorina neuerlich ins Wort. »Der Schurke sonnt sich in seinem Triumph und macht Euch mit seiner Intrige zum Mörder eines ehrenwerten Edelmannes! Seid Ihr bereit, eine solche Schuld auf Eure Seele zu laden?«
»Gütiger Himmel, wie Ihr Euch für ihn einsetzt«, murmelte der Herzog verblüfft.
»Einer muss es ja tun, wenn sich sonst niemand findet!« erwiderte Jorina stolz.
»Ihr täuscht Euch, Jungfer, er hat sehr wohl seine Fürsprecher«, widersprach der Herzog. »An erster Stelle sein lästiger Freund Jos de Comper. Er hat alles versucht, Nadiers Unschuld zu beweisen, und es ist ihm nicht gelungen. Wollt Ihr mehr zustande bringen als ein Ritter? Das Urteil ist gefällt, findet Euch damit ab! Kümmert es Euch denn gar nicht, dass durch seine Niedertracht einer der edelsten Ritter dieses Landes getötet wurde?«
»Er ist nicht niederträchtig! Er ist unschuldig!« Jorina schoss von ihrem Sitz hoch, und ehe der Herzog begriffen hatte, was sie tat, lag sie ihm mit flehend erhobenen Händen vor den Füßen. »Tut es nicht! Ihr befehlt einen schmählichen Mord! Laßt nicht zu, dass Paskal Cocherel diesen Mann auf unehrliche Weise besiegt, weil er es im ritterlichen Kampf nicht geschafft hat!«
»Gütiger Himmel, steht auf!« Jean de Montfort versuchte, das Mädchen wieder auf die Beine zu ziehen. »Ich kann die Bretagne nicht mit Mädchentränen und Märchen regieren. Wenn Frieden und Wohlstand wieder einkehren sollen, muss auch Gerechtigkeit herrschen.«
Jorina widersetzte sich seinem Griff. Sie sank noch tiefer zu Boden. Es sah aus, als wolle sie für immer auf den schwarz-weißen Steinplatten des Bodens liegen bleiben. Zerschmettert von dem endgültigen Urteil einer Macht, die keine Gnade walten lassen wollte. Aber es war nur die Zeit, die Jorina benötige, um wieder klar zu denken. Um einen anderen Ausweg zu finden.
Sie kam mit einer so gleitenden, anmutigen Bewegung wieder nach oben, dass der Herzog für einen Moment abgelenkt die zierliche Gestalt unter dem weiten Umhang musterte. Dann riss ihn jedoch ihre plötzlich wieder melodiöse Stimme aus allen weiteren Überlegungen.
»Gut«, entschied sie sanft. »Dann kaufe ich Eure Gerechtigkeit. Ich schlage Euch einen Handel vor.«
»Einen Handel?« Entgeistert starrte der mächtige Herr in das ruhige Madonnengesicht. »Seid Ihr närrisch geworden?«
»Kennt Ihr das Kreuz von Ys?«
Jorina sah die Fassungslosigkeit auf den Zügen des Herzogs. So hatte sie also richtig vermutet! Wenn Paskal Cocherel alles daransetzte, das sagenhafte Kreuz von Ys in seinen Besitz zu bringen, so würde es Jean de Montfort ebenso viel bedeuten, wenigstens einen Teil davon zu besitzen. Wie viel, musste sich
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