Josef und Li: Roman (German Edition)
und blickte in die dunkle Nacht hinaus und in seinem Kopf rauschte es, als ob er das Meer hören würde, zu dem Li zurückkehren sollte. Und dann sah er, wie aus Lis Zimmer dreimal die Taschenlampe blinkte.
»Kannst du auch nicht schlafen?«, flüsterte Josef, nachdem er wie der Blitz auf dem Treppenhausgeländer in den Hof gesaust war und sich auf Lis Fenster hochschwang.
»Nein, ich kann auch nicht schlafen«, antwortete Li und Josef sah, dass ihr Zimmer gar nicht mehr wie Lis Zimmer aussah. Die Bilder waren von den Wänden verschwunden, die
Bücher aus den Regalen und überall am Boden lagen, wie es bei Umzügen so üblich ist, Bananenkisten herum. Beide nahmen auf einer von ihnen Platz und Li fing an, etwas auf Vietnamesisch zu murmeln.
Josef dachte zunächst, dass er sie wie immer nicht verstehen würde, aber dann ergaben die Worte, die sich zunächst nach dem bekannten Chonjohcho chonjoh anhörten, einen Sinn, und Josef wusste plötzlich, was Li in dem Augenblick sagte.
Ich wünsche mir, jede Nacht von Josef zu träumen, ich wünsche mir, dass mich Josef am Meer besuchen kommt, sagte Li. Aber vielleicht sagte sie auch etwas völlig anderes, wie zum Beispiel: Das Smikmak-Spiel ist total idiotisch oder: Ich freu mich riesig, ins Meer zu hüpfen, denn so gut hatte sie Josef dann doch nicht verstanden.
Aber er tippte am ehesten auf das Erste, denn er wünschte sich heimlich, allerdings auf Tschechisch, etwas Ähnliches. Denn wenn sich der Mensch etwas sehr sehr wünscht, dann geht es meistens in Erfüllung. Und so wünschten sie beide so sehr, einander eines Tages noch einmal wiederzusehen, ob am Meer oder im Binnenland, im Städtchen Phu Tinh Gia oder in Břevnov, dass sie davon einschliefen. Und dann träumte Li von einer wunderschönen Hochzeit. Und dieser Traum ging in Erfüllung.
Die Hochzeit war wirklich wunderschön. Li trug ein weißes Kleid mit rosafarbigen Schleifen und Josef ein weißes Hemd mit einer Krawatte, die ihm Herr Bílek geliehen hatte, und ein dunkelblaues Sakko von Frau Kličková.
Die Lustige Teh Cann war an diesem Tag zum letzten Mal feierlich geschmückt und die Stimmung war heiter. Frau Nguyen hatte sich zur Aufgabe gemacht, dass alles picobello in Ordnung war.
An den Wänden verteilte sie Blumengirlanden und bunte Glühbirnen, auf den Boden streute sie Reis als Glücksbringer und die Tischchen zog sie zusammen, sodass eine lange Tafel entstand, auf die Herr Nguyen die ausgesuchtesten Leckereien stellte.
»Küssen! Küssen! Küssen!«, skandierten die Hochzeitsgäste, woraufhin sich Marta und Tuong einen Kuss gaben. Es war nämlich ihre Hochzeit. Doch Josef und Li taten heimlich so, als ob es auch ein wenig ihre Hochzeit wäre und schauten sich an, als ob sie sich auch einen Kuss gegeben hätten.
Marta sah überwältigend aus und man konnte ihr fast nicht ansehen, dass ihr wunderschönes Kleid noch vor ein paar Tagen in kleine Brillenputztücher zerlegt gewesen war.
Am Tisch saßen und feierten wohl alle, die Josef kannte. Selbstverständlich waren dort Herr und Frau Nguyen, Herr Klička und Frau Kličková, Vendula, Bára, Hnízdil, Máchal, Šíša und Herr Bílek mit Frau Miluška und dem Hund Olík. Und sogar Helena Bajerová war gekommen. Auf ihrem Schoß saß ihre Katze, die am allerliebsten Olík die Augen ausgekratzt hätte. Doch Helena versicherte Herrn Bílek, dass Lízinka, so hieß die Katze, niemandem etwas zuleide täte. Sie würde nur so tun, als sei sie so garstig, in Wirklichkeit wäre sie sehr lieb und brav. Und als dann Ping Nguyen über den ganzen Saal krächzte: »Chaaalo, Hoßenscheißer!«, schaute Helena etwas
pikiert und sagte, ihre Lízinka wäre im Gegensatz zu manch anderen sehr gut erzogen und würde ganz sicher nicht frech daherreden.
»Mich würde mal interessieren, wer die eingeladen hat«, sagte Josef und deutete mit dem Kopf in Richtung Helena und Li sagte, dass sie es gewesen sei.
»Warum denn, bitte?«
»Na damit sie weiß, dass ich ihr vergeben hab«, sagte Li großmütig. Aber dann verfinsterte sich ihr Gesicht, sie neigte sich zu Josef und flüsterte ihm ins Ohr: »Aber nicht dass du dich wieder mit ihr verlobst, wenn ich bin weg!«
»Darauf kannst du Gift nehmen!«, sagte Josef so überzeugend, dass sich ihr Gesicht gleich wieder aufklärte.
Und dann klopfte Marta mit dem Löffel an das Glas und deutete damit an, dass alle ein bisschen leiser sein sollten. »Keine Angst, wird nicht lang dauern«, sagte sie, als wirklich alle
Weitere Kostenlose Bücher