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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Vovsova
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zuerst die Bescherung. Es könnte auch kaum umgekehrt sein, da das große Zimmer, in dem der Esstisch stand, abgeschlossen war. Sie müssten sonst in der Küche an dem kleinen Tisch essen, was allerdings Frau Kličková nie zugelassen hätte. An Heiligabend musste alles so sein, wie es sich gehörte. Die bestickte Tischdecke, zusammengerollte
Stoffservietten, die von einem Eisenring gehalten wurden, das blankpolierte Fischbesteck, ein Erbstück von Herrn Kličkas Großeltern, und das Porzellangeschirr, welches, soweit sich Frau Kličková erinnern konnte, alle feierlichen Essen im alten Haus in Polička mitgemacht hatte.
    Um sechs Uhr waren Josef und Vendula schon so aufgeregt und erschöpft, dass sie nur noch im Vorraum vor der geschlossenen Tür des großen Zimmers saßen. Und warteten.
    Es war dunkel und sie ließen die Ritze unter der Tür nicht aus den Augen. Zuerst war sie finster und undurchdringlich, aber dann, als sich Herr Klička dazusetzte, und in diesem Jahr auch Marta, konnte man unten ein Licht vorbeihuschen sehen. In diesem Augenblick fing Herr Klička zu singen an, damit er wohl die Aufmerksamkeit von der Tür lenkte, Kommet ihr Hirten … Marta stimmte mit ein, und dann, als Herr Klička die Augen verdrehte, damit auch Josef und Vendula mitmachten, sangen alle. Nur Frau Kličková war irgendwo verschwunden, aber das war jedes Jahr so, sodass man nicht nach ihr suchte.
    Und dann hörte man irgendwo im Inneren der Wohnung ein Glöckchen, Frau Kličková tauchte im Vorraum auf und flüsterte: »Habt ihr das auch gehört? Es war wohl schon da!«
    »Ja, wir haben’s gehört, es war schon da«, pflichtete Herr Klička bei und richtete ein wenig seine Krawatte und fuhr sich durch die Haare. Und dann öffnete er die Tür. Und als er die Tür öffnete, da wurde Josef vor lauter Geblendetsein schwindelig. Und alle sangen jetzt Christus der Herr ist heute geboren, freuet euch, und Josef hatte einen Knödel im Hals.
    »Fröhliche Weihnachten dann«, sagte Frau Kličková, als
sie sich in ehrfurchtsvoller Entfernung um den Baum stellten, und gab Herrn Klička einen Kuss.
    »Fröhliche Weihnachten«, sagte Herr Klička und gab Frau Kličková auch einen Kuss. Und dann sagten alle Fröhliche Weihnachten und gaben einander Küsse.
    Nur Marta stand im Abseits, wie jemand, der gar nicht dazugehörte und nicht stören wollte. Aber das konnte Josef nicht ertragen, dass jemand so verloren am Baum stand und wirkte, als wäre er fehl am Platz. Auch wenn es die Hydra war.
    Und so ging er auf sie zu und wünschte ihr auch Fröhliche Weihnachten, und drückte ihr sogar noch einen Kuss auf die Wange. Aber das hätte er lieber nicht tun sollen. Marta wurde durch den Kuss dermaßen belebt und anstatt dass sie sich endlich auf die Geschenke stürzen konnten, mussten sie weitere zehn Minuten ihre unendliche Ansprache anhören.
    Darin erinnerte sie sich, wie sie Weihnachten mit ihrer Mama und ihrem Papa gefeiert hatte, als beide noch lebten, und dann erinnerte sie sich noch an eine Sylvinka, Jenda, einen Ondřej, eine Frau Brambergová, eine Věra Marovcová, einen Karel, einen Herrn Coufal und an viele andere Leute, die keiner von den Kličkas überhaupt kannte, aber niemand wagte es, sie zu unterbrechen.
    Josef schielte in der Zwischenzeit unauffällig zu den Päckchen, die unter dem Baum auf dem Teppich gestapelt waren. Besonders interessierte ihn ein in Krepppapier eingewickelter Gegenstand, der am Ende abgebogen war. Er war sich sicher, dass es der Hockeyschläger war, aber wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich um eine Gartenhacke. Frau Kličková sehnte sich schon seit Jahren nach einem eigenen
Garten, und so besorgte ihr Herr Klička vorerst eine Hacke. Und einen Rechen. Dieser war in goldenes Staniolpapier verpackt und Vendula dachte weiß Gott warum, dass es eine Make-up-Palette mit Kamm für sie wäre.
    Und Marta fielen weitere Verwandte, Freunde und Bekannte ein, und die Kličkas hörten ihr weiterhin höflich und geduldig zu, denn an Weihnachten sind die Leute nun mal so – höflich, gütig und geduldig.
    In einigen Familien wurde aber Weihnachten gar nicht gefeiert, weil es bei ihnen ganz andere Feste gibt, die zu einer ganz anderen Zeit stattfinden. Und so war es bei den Nguyens.
    Sie hatten weder einen Weihnachtsbaum noch einen Weihnachtskarpfen oder Geschenke. Herr Nguyen las Zeitung, Frau Nguyen bügelte die Tischdecken für die Lustige Teh Cann, die an diesem Abend dann doch zuhatte, und Li

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