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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Vovsova
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Fährte und anstatt sie zum Labyrinth neben dem Aussichtsturm von Petřín zu führen, auf welches Marta und Tuong zusteuerten, lief er in die Richtung, die von Petřín wegführte, nach Smíchov, wo sich Josef nicht besonders gut auskannte.
    Die Tigerkrallen beobachteten sie aus einiger Entfernung. Geduldig pirschten sie sich immer wieder heran, Schritt für Schritt, schon eine gute Stunde lang, wie vier Schatten. Und für Šíša, Máchal, und Hnízdil hörte der Spaß langsam auf. Am liebsten hätten sie sich schon in Dlabačov auf Josef gestürzt und säßen jetzt bereits zu Hause im Warmen, bei ihren neuen Spielen und Autos, bei Gebäck, vor ihren Fernsehern und wer weiß was für Sachen noch. Doch Helena konnte sich immer noch nicht entscheiden, aus welcher Position sie am besten angreifen sollten, und so liefen sie kreuz und quer durch Petřín und legten sich unterwegs einen Vorrat an Schneebällen an, den sie in Plastiktüten wie in einer Kühltasche verstauten.
    Erst ein Stück hinter dem künstlich angelegten See, ziemlich am Ende des Parks, gab Helena den Befehl zum Angriff. Als bester Angriffspunkt erschien ihnen die kleine Brücke, die über eine Schlucht oberhalb der Kinsky-Gärten führte. Dort versteckten sie sich und warteten regungslos, bis unter ihnen, auf dem unteren Pfad, Josef und Li erschienen.
    »Feuer!«, zischte Helena und die Jungs fingen an, Josef und Li mit Schneebällen zu bombardieren. Die beiden schafften es nicht, auszuweichen, und ehe sie sich versahen, waren die Tigerkrallen den Hang hinuntergelaufen und versperrten ihnen den Weg in die Unterführung unter der Brücke.
    »Ihr befindet euch auf dem Gebiet der Tigerkrallen«, eröffnete ihnen Helena und versuchte besonders verwegen dreinzuschauen.
    »Lasst uns in Ruhe, wir haben für solche Späßchen keine Zeit«, speiste Josef sie ab und wollte weitergehen. Máchal verwehrte ihm allerdings den Weg und sagte: »Wenn ihr weiterwollt, dann müsst ihr zahlen! Mit Tigertatzen! Das ist unsere Währung!«
    »Ja, gebt uns ein paar Tatzen, und dann lassen wir euch durch«, sagte Šíša und rieb seine durchgefrorenen Hände – er hatte seine Handschuhe zu Hause vergessen und würde am liebsten längst daheim sitzen und an der Spielkonsole feindliche Außerirdische niedermähen.
    »Wenn ihr keine Tatzen habt, könnt ihr auch mit Gold zahlen«, sagte Helena und schielte auf Lis Ring.
    Und das war der Wink für Máchal und Hnízdil. Blitzschnell steuerten sie auf Li zu und zerrten sie zu Helena. Aber noch bevor Helena es schaffte, den Ring von Lis Finger zu ziehen – endlich sah sie ihn mit eigenen Augen, ganz nah, also konnte sie nicht mehr hoffen, dass das Aufblitzen, das sie zuerst bemerkt hatte, irgendein Trugbild oder eine optische Täuschung war –, griff Josef ein. Tuong wäre auf seinen Schüler sehr stolz gewesen.
    »Cha – cha!«, stieß er hervor und nahm eine Kampfposition
ein. Die Jungs dachten eine Weile, er wäre übergeschnappt. Aber danach dachten sie es nicht mehr. Einer nach dem anderen flog durch die Luft wie ein Püppchen und sie fielen wie drei Säcke auf den Boden – so hatte es Tuong zu Josef in der ersten Lektion gesagt: wie ein Sack. Ein Sack Tee oder ein Sack Reis.
    »Komm«, sagte Josef zu Li, nahm sie bei der Hand und beide liefen hinter Olík den steilen Hang hinunter. Als die Jungs zu sich kamen, waren die drei nur noch als kleine Punkte irgendwo unten zu sehen.
    »Das werden sie noch bereuen!«, presste Helena zwischen den Zähnen hervor und winkte den Jungs zu, damit sie sich beeilten. Sie nahmen den Weg oben, über Strahov, und waren damit mit weitaus größerem Vorsprung als Josef und Li in Břevnov, die dank der Schwerkraft mühelos bis zum Ufer der Kleinseite gelangten, dann aber wieder mühsam hochsteigen mussten, zuerst die Neruda-Straße, den Hohlweg über Pohořelec und Hládkov.
    Helena und die Jungs blieben vor dem Haus stehen, in dem Josef und Li wohnten.
    »Los«, ordnete Helena an, als sie wieder zu Atem gekommen war, und drückte die Klinke. Die Jungs hatten keine Ahnung, was sie vorhatte. Aber ihrem Blick nach musste es etwas Furchtbares sein. Der ganze Körper tat ihnen von dem Aufprall nach Josefs Karate-Aktion weh. Aber vor allem fühlten sie sich gedemütigt. Und so folgten sie Helena liebend gern in den Hof und waren fest entschlossen, Josef etwas höchst Unangenehmes anzutun.
    Sie versteckten sich in der Nische unter der Treppe und warteten. Ziemlich lange passierte nichts. Und auch

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