Josef und Li: Roman (German Edition)
des Glashauses. Die Jungs sahen einander nur schweigend an und sagten lieber nichts. Und sie dachten auch lieber nichts mehr.
Zum Glück sah die Maranta wie eine ganz gewöhnliche Pflanze aus. Als aber eine unerträglich zickige Orchidee den Wärter auf die andere Seite des Gartens abkommandierte – das hatte er Josef noch auf die Schnelle anvertrauen können – , zögerte Josef keine Sekunde und schnitt der Maranta
mit Máchals Taschenmesser ein paar Blätter herunter. Und es gab überhaupt kein Quengeln und Heulen. Šíša behauptete zwar, dass er etwas zaghaft brummen hörte, aber es klang wohl sehr freundschaftlich. Als ob die Maranta sagte: Moshishi njunju , was in der Übersetzung des Marantischen wohl heißen sollte: Jungs, ich drück euch die Daumen, ich mein, die Äste. Aber wahrscheinlich war es das Bauchgrummeln von Máchal. Doch für solche Debatten war jetzt keine Zeit mehr. Josef steckte schnell die Blätter unter seine Jacke und lief zum Ausgang. Der erste Teil der Aufgabe war erledigt. Jetzt musste man nur noch das Banh-chung nach Rezept kochen.
Der verlassene Garten verwandelte sich an dem Nachmittag in eine Feldküche. Die Jungs bastelten vor der Gartenlaube aus Steinen eine Feuerstelle, auf die sie einen Kessel mit Reis, Sojabohnen und Schweinefleisch befestigten. Dem Rezept nach sollte das Banh-chung auf kleiner Flamme acht Stunden köcheln! Das Schwierigste war, genug Brennholz herbeizuschaffen und Máchal zu bewachen, damit er nicht alle fünf Minuten den Deckel hob und probierte. Und dann noch die unendlich langen acht Stunden durchzuhalten.
Diese aber vergingen für alle doch ganz schnell. Hnízdil fing nämlich an, eine sehr lange und sehr langweilige Geschichte zu erzählen – fragt bloß nicht, worum es ging! –, und alle schliefen sofort ein. Selbst Hnízdil.
Als die Jungs wieder aufwachten, war es bereits dunkel, im Feuer glommen nur noch ein paar heiße Kohlen und im verlassenen Garten hing der Duft des Banh-chung.
»Hoffentlich liegt ihr das nicht zu schwer im Magen«,
machte sich Šíša Sorgen, nachdem er auch ein wenig probiert hatte. Aber da kippte Josef schon die pappige braune Masse aus dem Kessel auf das Blatt der Maranta und wickelte sie sorgfältig ein.
Und ein wenig später beugten sich die Jungs schon über Lis Bett. Das grüne Päckchen war noch warm, als Josef damit unter Lis Nase so lange herumfuchtelte, bis der Duft des Banh-chung zu Lis Traum durchgedrungen war.
Li wälzte sich ein wenig hin und her, ihre Nüstern zitterten und dann schmatzte sie und sprach im Schlaf: »Banh-chung.«
»Genau, Banh-chung«, stimmte ihr Josef zu und steckte ihr das grüne Päckchen noch näher unter die Nase. »Und jetzt wach endlich auf, sonst wird es kalt!«
Und dann wachte Li wirklich auf. Und als sie über ihrem Bett Máchal, Hnízdil und Šíša sah, erschrak sie fürchterlich, denn sie wusste nicht, dass sich die Tigerkrallen in der Zwischenzeit aufgelöst hatten und die Jungs nun ihre Verbündeten waren.
»Keine Angst, die Tigerkrallen sind jetzt zahm«, beruhigte sie Josef und griff mit den Stäbchen, die er am Feuer aus Langeweile geschnitzt hatte, den ersten Bissen.
Li war ordentlich ausgehungert. Josef dachte zunächst, dass er sie füttern müsste, aber nach ein paar Bissen riss sie ihm die Stäbchen aus der Hand und aß selbst. Und nach einer Weile war das ganze Banh-chung in ihr verschwunden. Das tat den Jungs, allen voran Máchal, ein bisschen leid. Was hatten sie sich abgemüht! So viel Gerenne und Sorgen! Und sie aß alles auf, noch bevor jemand bis drei zählen konnte. Und ließ nicht mal ein Restchen übrig.
»Schmecke genau wie beim Oma Xi«, sagte Li, lächelte und es war wieder Farbe in ihr Gesicht zurückgekehrt.
Auch in die Gesichter von Herrn und Frau Nguyen, die ein wenig abseits standen, war Farbe zurückgekehrt, und es schien so, als sei wieder alles beim Alten. Doch dann verirrte sich Lis Blick zum Fenster und sie sah den leeren Vogelkäfig. Und nichts war wieder beim Alten. Wie das Wasser, wenn man den Stöpsel aus dem Waschbecken zieht, so verschwand die Farbe wieder aus Lis Gesicht. Sie ließ den Kopf aufs Kissen fallen und zog die Decke über sich.
Die Jungs sahen einander ratlos an und die unglückliche Frau Nguyen lief rasch in die Küche, um rote Chilis zu schneiden. Frau Kličková schnitt in solchen Situationen Zwiebeln, Frau Nguyen hingegen scharfe Chilischoten.
»Sie habe sehr kranke Nerv«, erklärte Herr Nguyen den Jungs, »muss
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