Josefibichl
des Handys eintippen musste, war auf einem Zettel mit Tesa auf die Unterseite des Akkus geklebt. Der Scheich von Al-Wai Dabbeyh schien sehr vergessliche Sicherheitsleute zu haben.
Hartinger setzte die Einzelteile wieder zusammen und drückte auf den rechts oben am Gerät angebrachten Ein-aus-Knopf. Das Gerät machte – nichts. Freilich, sagte sich Hartinger. Erstens wäre so viel Glück eine maßlose Frechheit gewesen. Zweitens hielt kein Akku das bisschen Strom länger als ein paar Wochen. Hartinger musste also doch unter Menschen, um ein geeignetes Ladekabel zu besorgen und eine Steckdose zu finden, an die er das Handy für einige Zeit würde hängen können.
Ladekabel gab es an Tankstellen. Der nächste Ort, Ried, war tankstellenfrei. Am Ortseingang von Benediktbeuern war eine Aral, doch die war ihm zu einsehbar und unfrequentiert, sodass man sich an ihn erinnern würde. Endlich, bei Agip in Bichl, erblickte er im langsamen Vorbeifahren eine junge Tankwartin, die alle Hände voll zu tun hatte, einen in der Waschanlage stecken gebliebenen Porsche Panamera mit Kennzeichen aus dem Main-Taunus-Kreis zu befreien. Dessen Besitzer tobte vor der Waschanlage herum und stand angesichts des befürchteten Totalverlusts kurz vor einem Herzinfarkt.
Hartinger lehnte das Postradi unauffällig bei den Münzstaubsaugern an ein Fußmattenabklopfgitter, betrat das Tankstellengebäude, suchte sich am Regal mit dem Handyzubehör einen Allroundstecker für alle handelsüblichen Modelle und legte diesen zusammen mit einer Prepaidkarte für alle Fälle auf den Tresen. Die Tankwartin kam von der Waschhalle in den Verkaufsraum gerannt, hielt die beiden Einkäufe an den Scanner, nahm das Bargeld, das ihr Hartinger bereits auf die Zigarettenpapier anpreisende Geldschale gelegt hatte, gab Wechselgeld heraus und stürmte zum sich wild gebärdenden hessischen Urlauber zurück.
Nun hieß es Strom auftreiben. Das Sicherste war, sich zum Verweilen – und eine halbe Stunde Saft wollte er dem entleerten arabischen BlackBerry schon angedeihen lassen – dort niederzulassen, wo er in so etwas wie in einer Menschenmenge untertauchen konnte. Eine traditionelle bayerische Dorfwirtschaft, wie es sie in dieser Gegend noch gab, kam dafür leider nicht infrage; dort wäre mittags nur der Stammtisch mit fünf Einheimischen besetzt gewesen, die ihn sicher genau gemustert und memoriert hätten. Nein, er musste sich in eine Lokalität begeben, die von größerem Publikum aufgesucht wurde als ein bayerisches Wirtshaus. Also rauf aufs Postradi, weiter nach Bad Heilbrunn, wo die Existenz einer Teebeutelfabrik eine gut frequentierte Pizzeria hatte entstehen lassen.
Er fand dort einen Tisch an der Wand in der Nähe einer Steckdose, holte den Multistecker aus der Plastikverpackung und lud das Mobiltelefon auf. Als der Ober kam, murmelte er verschanzt hinter der Lokalzeitung die einfachste Bestellung – »Spaghetti Pomodoro und Apfelschorle, bitte« –, ohne aufzuschauen, und harrte weiter des Ladevorgangs des Akkus.
Seit seinem Aufbruch im Kloster in Partenkirchen um Viertel vor neun hatte er nun knapp fünfzig Kilometer in etwas mehr als drei Stunden auf dem schwerfälligen Postradl zurückgelegt. Der Leberkässemmel-Snack aus Kochel war längst verschnauft, und so wäre eine Ladung Kohlenhydrate auch diesmal mit gutem Gewissen vertretbar. Wer konnte schon sagen, welche Wege er an diesem Tag noch zurücklegen musste. In seinem Vokabelheft konnte er sich wenigstens einige Punkte für sportliche Betätigung gutschreiben.
Das fast schon auf befremdliche Art Zufriedenstellende an diesem Tag war aber nach wie vor, dass Hartinger als gesuchter Zeuge oder gar Mordverdächtiger durch das Oberland radeln konnte, wie es ihm beliebte.
Eine halbe Stunde nach Betreten der Pizzeria hatte Hartinger seine Spaghetti Pomodoro mit der Apfelschorle hinuntergespült. Er nahm das arabische BlackBerry in Betrieb und tippte die PIN ein. Wenige Augenblicke später war er wieder mit der Welt verbunden. Er hatte nur ein paar Minuten Zeit, um an seiner Geschichte weiterzuarbeiten – um seine Unschuld zu beweisen.
Während Bernd Schneider die Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen wieder verließ, um den Waldbesitzer und Gastronomen Veit Gruber aufzusuchen, blieb Ludwig Bernbacher vor der großen Wandkarte im Besprechungsraum und dem aufgepinnten Recherchematerial stehen. Er stierte auf den imaginären Kreis auf der Karte, den er vorher dem dynamischen LKA-Kollegen umrissen hatte.
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