Josefibichl
ein bisschen mehr Abwechslung in den Fall.«
»Frau? Wo kommt denn die her?«, wunderte sich Hartinger.
»Aus den kaum vorhandenen Haaren des Bürgermeisters herbeigezaubert. Der hat auf einer Pressekonferenz Blödsinn von sich gegeben, und das schlachten die jetzt aus.« Auch bei den Kollegen von der Bild-Chefredaktion hatte sich Weißhaupt über den Wissensstand ihrer nach Garmisch abkommandierten Kollegen erkundigt. »Aber richtig wissen tun die alle nichts. Sie nehmen gerade dein Leben – wenn du deine Restexistenz so nennen willst – auseinander, aber damit war ja zu rechnen.«
Hartinger wurde ein wenig schwummrig. Wenn die Jungs von Bild das richtig machten – und so was machten sie meistens sehr richtig, das musste der Neid ihnen lassen –, wussten sie bald auch, wer wann von Hartinger ein Kind bekommen hatte. Wahrscheinlich grasten sie gerade alle Schulkameraden und Bekannten nach Fotos, Geschichten und Skandalen aus seiner Vergangenheit ab. Da würden sie beim Notieren den Bleistift oft nachspitzen müssen.
Kurt Weißhaupt hatte seiner Pflicht als Berichterstatter Genüge getan, wie er fand. »Ich geh jetzt rüber ins Schumann‘s und horch mal weiter. Mal sehen, wer da heute so rumspringt.«
Mittwoch war ein relativ ruhiger Tag in seinem »Wohnzimmer« am Odeonsplatz. An einem so lauen Juliabend saßen die Leute lieber hinten im Hofgarten.
»Jetzt fällt‘s mir ein: die Mordwaffe.« Kurt Weißhaupt hatte die ganze Zeit überlegt, welche wichtige Nachricht er noch aus der Maillingerstraße hatte, wo das Bayerische Landeskriminalamt residierte.
»Der Strick, ich weiß«, sagte Hartinger.
»Eben nicht«, triumphierte Weißhaupt. »Es war eine Garrotte!«
»Hammer. Eine Garrotte?«, staunte Hartinger. »Ist die nicht komplett aus der Mode?«
»Unverständlicherweise«, meinte Weißhaupt. »Ist nämlich leicht zu bauen und ebenso leicht zu transportieren und rückstandslos zu entsorgen. Ein Stück Draht und zwei Staberl lässt du leicht verschwinden.«
»Außerdem ziemlich tödlich, was bei einer Mordwaffe recht vorteilhaft ist«, fügte Hartinger hinzu.
»Aber . . .« Weißhaupt machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Aber du musst schnell, absolut entschlossen und von einer eiskalten Brutalität sein.«
»Also ein Profi?«
»Ein Profi oder einer, der sich das sehr gut überlegt und vielleicht schon mal geübt hat.«
»Keine Frau.«
»Keine normale. Klar, in Geheimdiensten und anderen Mörderorganisationen findest du solche Bräute. Aber im Zivilleben? Da würde ich schon beim Mann als Täter bleiben.«
»Also eine Spionin oder ein männlicher Zivilist«, schloss Hartinger mit mangelhaftem Sinn für Mengenlehre.
»Oder ein männlicher Spion«, ergänzte Kurt Weißhaupt.
»Dann ist ja alles klar«, spottete Hartinger über die eigene Ahnungslosigkeit. »Bis später – servus!«
Hartinger beendete das Gespräch und schaltete das BlackBerry aus. Er saß in der Dachstube wie auf Kohlen – nicht nur deshalb, weil die Julisonne die Luft unter dem Blechdach des alten Bauernhauses auf Temperaturen um die vierzig Grad aufgeheizt hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn hier fanden, und er fragte sich, was er durch seine Flucht gewonnen hatte. Immerhin war er noch frei, so lautete sein Fazit, und konnte, wenn auch nur aus dem Untergrund, an der Aufklärung seines Falles mitwirken.
Wenn nur Albert Frey endlich käme.
Albert Frey, pensionierter Gymnasiallehrer für Deutsch, Sozialkunde und Geschichte, würde zum dritten Mal im Leben des Karl-Heinz Hartinger eine wichtige Rolle spielen. Seit dem ersten Mal waren fast dreißig Jahre vergangen. Frey war damals Klassenlehrer einer elften Klasse geworden, die als besonders renitent und aufsässig verschrien gewesen war. Der Rädelsführer war ein großer dunkler Kerl mit dem Namen Karl-Heinz Hartinger gewesen, den alle Mitschüler nur Gonzo nannten. Doch als von den Achtundsechzigern geprägter Pädagoge näherte sich Oberstudienrat Frey der Klasse und ihren Schülern unvoreingenommen und mit dem für Lehrer seiner Fachrichtungen typischen Sendungsbewusstsein. Er verwickelte sie in Diskussionen und nahm sie ernst. Und das Wunder geschah: Der Notenschnitt der gesamten Klasse verbesserte sich im Jahresverlauf um eine Note.
Als besonders hellen Kopf machte Frey den jungen Hartinger aus. Er wirkte am Schuljahresende auf ihn ein, die Klasse zu wiederholen, dafür aber auf dem Gymnasium zu bleiben, obwohl es für Hartinger in dessen
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