Josefibichl
Partenkirchner Honoratioren im Gasthaus Zum Rassen in der Ludwigstraße gegenüber der Pfarrkirche. Mittwochs war Bürgermeister Meiers Partenkirchen-Stammtisch und donnerstags sein Garmisch-Stammtisch im weniger rustikalen Posthotel am Marienplatz. Da die Doppelgemeinde in den meisten weltlichen und kirchlichen Institutionen auch fünfundsiebzig Jahre nach ihrer Zwangsvereinigung zweifach besetzt war, wurde diese Stammtischtrennung von allen Ersten Bürgermeistern nach dem Krieg beibehalten.
Zu beiden Runden rückte das Personal an, das man bei einem Bürgermeisterstammtisch erwarten durfte: die jeweiligen Pfarrer (seit den libertären Siebzigern auch die evangelischen), die Kommandanten der beiden Freiwilligen Feuerwehren, die Direktoren der Grund – und Hauptschulen, der Berufsschule sowie der beiden Realschulen und der Gymnasien (da mit einer Ausnahme alle Schulen auf Partenkirchner Gebiet lagen, war der Partenkirchner Stammtisch etwas umfangreicher und deutlich lehrerlastig, ohne aber dadurch Anzeichen der Linksradikalität aufzuweisen), die Vorstände der beiden Volkstrachtenvereine und Weidegenossenschaften (sofern Personalunion bestand, auch eines Stellvertreters), die Bereitschaftsleiter der beiden Sanitätskolonnen und die Chefs der beiden verfeindeten Skiclubs und der Turn – und Sportvereine.
Dazu kamen die Vertreter der wenigen Solitärorganisationen immer zum Stammtisch in demjenigen Ortsteil, in dem sie gerade das heißeste Eisen im Feuer hatten, oder schlicht, zu welchem es terminlich passte: der Präsident des Sportclubs Riessersee, der Vorstandsvorsitzende der Bayerischen Zugspitzbahn, der Leiter der Alpenvereinssektion Garmisch-Partenkirchen (die sich lange vor der Gemeindereform, vor fast einhundert Jahren, vereint hatte), der Verwaltungschef des Klinikums und die Direktoren der Kreissparkasse und der Raiffeisenbank.
Da fast alle diese Amts – und Würdenträger auch Mitglieder des Gemeinderats waren, waren das die Sitzungen, in denen die eigentliche Politik im Ort gemacht wurde. Nur eben ohne Grüne, Freie Wähler, Liberale und Sozis, die das Gemeindeparlament in den letzten zwanzig Jahren durchsetzt hatten und nun nolens volens in den Ausschüssen saßen, wo sie nicht nur mithorchten, sondern immer öfter immer penetranter mitschnabelten.
Meier und Bernbacher tranken ihre ersten Halben zusammen mit der Stammtischrunde. In ihren Krügen dümpelte der lasche Schaum des alkoholfreien Bieres. Mit Ausnahme der Pfarrer und der Sportvereinsvorsitzenden hatte jeder Stammtischbruder mit dem Wirt die heimliche Verabredung getroffen, dass während der Bürgermeisterstammtische nur der unberauschende Plempel eingeschenkt wurde. Am Stammtisch ging es ans Eingemachte, da musste man hellwach sein, da wurde Tacheles geredet und nicht wie bei den öffentlichen Gemeinderatssitzungen entschlossene Zufriedenheit zur Schau gestellt.
Gerade, als die Diskussion um den Mord losbrach, zogen sich Meier und sein Sheriff auf ein Augenzeichen des Bürgermeisters hin kurz nacheinander zurück, vorgeblich in Richtung Toiletten, in Wirklichkeit aber, um sich im großen Saal auf eine Geheimbesprechung zu treffen. Was die beiden zu bereden hatten, hatte ebenfalls mit dem toten Mönch zu tun, sollte aber nicht Gegenstand der allgemeinen Debatte werden.
»Und?«, fragte der Bürgermeister ungeduldig, nachdem sie sich am hintersten Eck des an diesem Abend ungenutzten Festsaals an einen Tisch gesetzt hatten. Hier spielte an den Wochenenden auch das Partenkirchner Bauerntheater.
»Und? Und?«, äffte Bernbacher nach. »Wir haben erst heute Nachmittag telefoniert. Was soll sich seitdem getan haben?«
»Ludwig . . .« Meier senkte die Stimme drohend ab.
Bernbacher lenkte ein. »Er war in Tölz. Der Hartinger. Von dort ist er nach Lenggries weitergeradelt, von dort wahrscheinlich nach Jachenau. Wir suchen ihn mit allen verfügbaren Kräften.«
»Wann war er wo? Und wann ist er wo weg? Und wohin?«
»Alles heute Nachmittag zwischen drei und vier passiert. Das heißt für mich, dass er schon längst wieder da ist. Jachenau ist von Tölz aus unsere Richtung. Wenn er von da per Anhalter weitergefahren ist, ist er am frühen Abend bei uns eingetroffen.«
»Nicht gut, Bernbacher, gar nicht gut. Wir wollen den Mann loshaben und nicht, dass er uns wieder im Pelz sitzt, das habe ich dir doch gesagt«, zischte der Bürgermeister.
»Was soll ich da machen?«
»Such ihn! Schwärm aus! Sitz nicht hier mit deinem Beamtenhintern an
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