Joseph Anton
moralischer Äquivalenzen verstehen. Wie beschämend ist es nun doch, dass ein Mann, zu dem diese Jungen vermutlich wie zu einem Vorbild aufsehen, den gehörigen Vernunftgebrauch derart vernachlässigt. »Beide, sowohl Mr Rushdie wie auch der Ayatollah, haben Schindluder mit der Meinungsfreiheit getrieben«, behaupten Sie. So wird ein Roman, der, ob man ihn nun liebt oder hasst, nach Ansicht mancher Kenner und Kritiker ein ernstzunehmendes Werk der Kunst ist, mit einem schnöden Aufruf zum Mord gleichgestellt. Wie lächerlich eine solche Bemerkung ist, sollte sich eigentlich von selbst verstehen, stattdessen aber haben Sie, Oberrabbiner, sowie Ihre Kollegen, der Erzbischof von Canterbury und der Papst in Rom, im Wesentlichen genau das gesagt. Für einen Außenseiter, einen Menschen, der keiner Religion anhängt, könnte es so aussehen, als würden die diversen, vom Judentum, dem Katholizismus und der Kirche von England erhobenen Ansprüche auf Autorität und Beweiskraft einander widersprechen und auch mit den Behauptungen im Widerspruch stehen, die vom Islam und in dessen Namen erhoben werden. Wenn der Katholizismus ›recht‹ hat, muss die Kirche von England ›unrecht‹ haben; aus solchem Grund wurden tatsächlich Kriege geführt, da viele Menschen – auch Könige und Päpste – von dieser Ausschließlichkeit überzeugt waren. Folglich bestreitet der Islam schlichtweg, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist, und viele muslimische Priester und Politiker brüsten sich öffentlich mit ihren antisemitischen Ansichten. Woher dann diese verblüffende Einstimmigkeit zwischen offenkundig so Unversöhnlichem? Nun, Oberrabbiner, denken Sie an das Rom der Cäsaren. Wie es damals mit den mächtigen Herrschern war, so ist es heute mit den großen Weltreligionen. Wiesehr man einander auch verabscheut und zu übervorteilen versucht, gehören doch alle einer Familie an, sind sie alle Bewohner desselben Haus Gottes. Sobald man fürchtet, dass Außenstehende dieses Haus bedrohen, ob nun die zur Hölle verdammten Armeen der Religionslosen oder nur ein literarischer Romancier, schließt man die Reihen mit beachtlicher Schnelligkeit und Entschlossenheit. Rö mische Soldaten, die in Formation in den Kampf zogen, bilde ten eine testudo , eine Schildkröte; die Soldaten am äußeren Rand bildeten mit ihren Schilden Mauern, während die in der Mitte sie über die Köpfe zu einem Dach hoben. Ebenso haben Sie, Oberrabbiner Jakobovits, sich mit Ihren Kollegen zu einer Schildkröte des Glaubens formiert. Sie kümmert nicht, wie blöd das aussieht. Sie wollen nur, dass die Mauern der Schildkröte möglichst stark sind.
Sehr geehrter Robinson Crusoe,
mal angenommen, du hättest nicht einen Freitag, sondern vier zur Gesellschaft, alle schwer bewaffnet. Würdest du dich sicherer oder unsicherer fühlen?
Sehr geehrter Bernie Grant, MP,
»Bücher verbrennen«, sagten Sie einen Tag nach Verkündigung der Fatwa , »ist für Schwarze kein großes Thema.« Einwände gegen derlei Praktiken, behaupteten Sie, seien Beweis dafür, dass »die Weißen der Welt ihre Werte aufzwingen wollen«. Ich erinnere mich, dass manch ein schwarzer Wortführer – etwa Dr. Martin Luther King – für seine Ideen ermordet wurde. Den Tod eines Menschen zu fordern, weil einem seine Ansichten nicht gefallen, scheint einem verwirrten Außenstehenden folglich etwas zu sein, was ein schwarzes Parlamentsmitglied abscheulich finden sollte. Und doch erheben Sie dagegen keine Einwände. Sie, mein Herr, repräsentieren das inakzeptable Gesicht des Multikulturellen, seine Deformation in eine Ideologie des kulturellen Relativismus. Kultureller Relativismus ist der Tod ethischen Denkens, rechtfertigt er doch das Recht tyrannischer Priester, zu tyrannisieren, das Recht despotischer Eltern, ihre Töchter zu verstümmeln, das Recht bigotter Individuen, Homosexuelle und Juden zu hassen, da dies Teil ihrer ›Kultur‹ sei. Bigotterie, Vorurteil und Gewalt oder die Androhung von Gewalt sind keine menschlichen ›Werte‹. Sie sind der Beweis für das Fehlen solcher Werte. Sie sind kein Beleg für die ›Kultur‹ eines Menschen. Sie sind ein Anzeichen dafür, dass es diesem Menschen an Kultur fehlt. In solch wichtigen Dingen, Sir, halte ich es mit dem großen schwarzweißen Philosophen Michael Jackson: »It don’t matter if you’re black or white.«
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Auf dem Platz des Himmlischen Friedens steht ein Mann mit Einkaufstüten in den Händen vor einer Reihe Panzer und hält ihren
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