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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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nicht, sich verwundert zu fragen, warum eine Nation, deren Söhne auf Geheiß des toten Imam in einem nutzlosen Krieg gegen den Irak gefallen waren, solch schreienden Kummer über sein Dahinscheiden empfand; es genügte nicht, die Szene als ein Theaterstück abzutun, aufgeführt von einem unterdrückten, verängstigten Volk, dessen Furcht vor dem Tyrannen nicht einmal von seinem Tod gemindert wurde; es genügte nicht, dies einen Terror zu nennen, der sich als Liebe maskierte. Der Imam war für diese Menschen eine direkte Verbindung zu ihrem Gott gewesen. Nun war die Verbindung unterbrochen. Wer würde in Zukunft für sie Fürsprache einlegen?
    Am nächsten Morgen flog Marianne nach Amerika. Und er wurde nach Talybont gebracht. Das Cottage war winzig, das Wetter grauenhaft. Das Haus bot keine Privatsphäre. Er würde mit seinen Bodyguards – dem leutseligen Fat Jack und einem neuen, sehr gebildeten Mann namens Bob Major, zweifellos ein Beamter mit großer Zukunft – auf engstem Raum zusammenleben müssen. Noch schlimmer war, dass sein Funktelefon nicht funktionierte. Er bekam keinen Empfang. Man musste ihn einmal am Tag mehrere Kilometer weit zu einer Telefonzelle mitten im Nirgendwo bringen, damit er seine Anrufe erledigen konnte. Klaustrophobie machte ihm schwer zu schaffen. »Es ist alles so SINNLOS , so SINNLOS «, schrieb er in sein Tagebuch, und dann rief er Marianne in Boston an, und alles wurde noch viel schlimmer.
    An einem verregneten Tag stand er in einer roten Telefonzelle in walisischer Hügellandschaft, eine Tüte mit Münzen in der Hand, ihre Stimme im Ohr. Sie war von Derek Walcott und Joseph Brodsky zum Abendessen eingeladen worden, und die beiden Nobelpreisträger hatten gesagt, sie hätten ihr Leben nicht derart verändert. »Ich wäre daheim geblieben und hätte mich genauso verhalten wie sonst«, so Brodsky, »was hätten sie schon machen wollen?« – »Ich habe es ihnen erklärt«, sagte sie. »Ich habe ihnen gesagt: ›Der arme Mann fürchtet um sein Leben.‹« Besten Dank auch, Marianne , dachte er. Joseph Brodsky habe ihr eine Fußmassage verabreicht, fuhr sie fort. Das konnte seine Laune auch nicht verbessern. Seine Frau ließ sich von diesen beiden Alpha-Männchen der Lyrikwelt die Füße rubbeln und erzählte ihnen, dass ihr Mann zu feige sei, so zu leben, wie sie es tun würden, mutig in aller Öffentlichkeit. Sie trage überall Saris, erzählte sie dann. War also nicht besonders unauffällig. Er wollte ihr gerade sagen, dass sie mit den Saris vielleicht ein bisschen zu viel Aufsehen erregte, als sie die Bombe platzen ließ. In der Lobby ihres Bostoner Hotels sei ein Agent der CIA auf sie zugekommen. Er nannte sich Stanley Howard und fragte sie, ob er sie kurz sprechen könne, und sie hatten zusammen eine Tasse Kaffee getrunken. »Sie wussten, wo wir waren«, sagte sie nun in schrillerem Ton. »Sie sind im Haus gewesen. Sie haben Papiere von deinem Schreibtisch und aus dem Papierkorb mitgenommen und mir zum Beweis dafür vorgelegt, dass sie sich bei uns umgesehen haben. Schrifttype und Seitenlayout eindeutig von dir. Die Typen, mit denen du zusammen bist, die haben nicht mal geahnt, dass die CIA bei uns war. Du kannst diesen Leuten nicht länger trauen. Du musst sofort verschwinden. Komm nach Amerika. Howard Stanley wollte wissen, ob unsere Ehe echt ist oder ob sie für dich nur ein Vorwand ist, um nach Amerika zu gelangen. Ich habe mich für dich eingesetzt, und er meinte, gut, dann sei es okay, du würdest einreisen dürfen. Du könntest als freier Mensch in Amerika leben.«
    Stanley Howard. Howard Stanley . Okay, man bringt Namen schon mal durcheinander, erinnert sich falsch, das bewies noch gar nichts. Dass er darüber stolperte, bedeutete vielleicht sogar, dass sie die Wahrheit sagte. Nur damit wir uns nicht missverstehen, sagte er. Du sagst mir, die CIA ist auf dich zugekommen und hat dir gesagt, ihre Leute hätten eine größere britische Sicherheitsoperation unterlaufen, sind in ein bewachtes Haus eingebrochen und haben Material mitgenommen, ohne dass irgendwer irgendwas gemerkt hat? »Genau«, sagte sie und beteuerte dann noch einmal: »Du bist nicht mehr sicher; du musst sofort verschwinden, trau den Leuten in deiner Nähe nicht.« Und was machst du jetzt?, wollte er wissen. Sie fuhr nach Dartmouth zur Abschlussfeier und dann nach Süden, um ihre Schwester Johanne in Virginia zu besuchen. Okay, sagte er, ich rufe dich morgen noch einmal an. Als er jedoch am nächsten Tag ihre

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