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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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dergleichen passiert«, sagte Will Wilson. »Wir sind uns so sicher, wie wir es nur sein können.«
    Man bat ihn also anzunehmen, dass seine Frau einen gegen ihn gerichteten Plot der CIA erfunden hatte. Warum sollte sie so etwas tun? War ihr Verlangen danach, sich von diesem Leben im britischen Untergrund zu befreien, so groß, dass sie sich genötigt fühlte, sein Vertrauen in seine Beschützer zu erschüttern, damit er England in Richtung Amerika verließ, was es ihr erlauben würde, ihn zu begleiten? Warum aber sollte sie nicht auf den Gedanken kommen, dass er, wenn er davon überzeugt war, dass die Amerikaner sich derartige Mühe gegeben hatten, ihn aufzuspüren, den Beamten der CIA vielleicht noch weniger traute als dem Special Branch? Und warum sollte die CIA so etwas tun? Plante sie etwa, ihn gegen amerikanische Geiseln im Libanon auszutauschen? Und falls ja, wäre er auf amerikanischem Boden dann nicht in größerer Gefahr als in England? Ihm schwirrte der Kopf. Das war doch verrückt. Das war wirklich verrückt.
    »Nichts dergleichen ist passiert«, wiederholte Will Wilton mit sanfter Stimme. »Nichts dergleichen hat je stattgefunden.«
    *
    Sie redete lange auf ihn ein, dass nicht sie, sondern die Polizei log. Sie nutzte ihren beträchtlichen körperlichen Charme, um ihn davon zu überzeugen, dass sie die Wahrheit sprach. Sie wurde wütend, weinte, verstummte und redete dann wieder wie ein Wasserfall. Dieser Auftritt, ihre letzte, beeindruckende Vorführung, dauerte fast die ganze Nacht. Doch er hatte seine Meinung gefasst. Ob sie recht oder unrecht hatte, konnte er nicht beweisen, doch sprach die Wahrscheinlichkeit gegen sie. Er vertraute ihr nicht länger, und es wäre besser, allein zu sein, als sie bei ihm bleiben zu lassen. Er bat sie zu gehen.
    Viele ihrer Sachen waren noch in Porlock Weir, und einer der Fahrer brachte sie hin, damit sie packen konnte. Sie führte Telefongespräche mit Sameen und seinen Freunden, doch alles, was sie sagte, war gelogen. Er begann jetzt, sie zu fürchten, sich vor dem zu fürchten, was sie tun oder sagen würde, sobald sie die Blase des Sicherheitsteams verlassen hatte. Als sie sich einige Monate später entschied, einer Sonntagszeitung ihre Version der Trennung zu schildern, behauptete sie, die Polizei hätte sie mitten ins Nirgendwo gefahren und sie allein an einer Telefonzelle stehenlassen. Das war gesponnen. In Wahrheit hatte sie sein Auto und die Schlüssel zum Haus in Bucknell, und nun, da sie als Sicherheitsrisiko eingestuft worden war, konnte er keine Unterkunft mehr nutzen, über die sie Bescheid wusste. Also war er es, nicht sie, der nach ihrer Trennung wieder einmal kein Dach über dem Kopf hatte.
    *
    Erneut gingen Bomben hoch – wieder in Collet’s Bookshop, später auch auf der Straße vor dem KaufhausLiberty’s, dann in den Penguin-Buchläden vier verschiedener Städte – und es kam zu weiteren Demonstrationen, zu noch mehr Gerichtsprozessen, mehr muslimischen Anschuldigungen, dass er ›böse‹ und ›gottlos‹ sei, zu mehr grauenerregenden Meldungen aus dem Iran (Präsident Rafsandschani sagte, der Todesbefehl wäre unwiderrufbar und würde von der ›ge samten muslimischen Welt‹ unterstützt) und aus dem Mund des giftigen Gartenzwergs Siddiqui in England, aber es gab auch neue, herzerwärmende Gesten der Solidarität von Freunden und Sympathisanten in Großbritannien, Amerika und Europa – eine Lesung hier, ein Theaterstück dort, und zwölftausend Menschen unterschrieben zu seiner Unterstützung das ›weltweite Statement‹ Schriftsteller und Leser für Salman Rushdie . Die Kampagne zu seiner Verteidigung wurde von der Menschenrechtsorganisation ›Artikel 19‹ geführt, benannt nach dem Artikel zur freien Meinungsäußerung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: »Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung«, heißt es dort. »Dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.« Wie einfach und klar das war. Da stand nicht »es sei denn, Sie verärgern jemanden, vor allem jemanden, der bereit ist, Gewalt anzuwenden«. Da stand nicht »es sei denn, Religionsführer beschließen etwas anderes und befehlen Ihre Ermordung«. Wieder dachte er an Bellow, an die berühmte Zeile fast zu Beginn von Die Abenteuer des Augie March : »Das Verdrängen von

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