Joseph Anton
mitten im Wirbel dessen gefangen, was man die ›Rushdie-Affäre‹ nannte – erinnerte zunehmend an ein Kaninchen im Scheinwerferlicht. Wie ein LKW raste die Geschichte auf ihn zu, und er wurde von zwei völlig unvereinbaren Diskursen fast gelähmt, die in ihm miteinander stritten: der Diskurs der Prinzipientreue und der Diskurs der Angst. Sein Pflichtgefühl war unbestreitbar. »Wie wir auf die Kontroverse um Die satanischen Verse reagierten, sollte die Zukunft der Informationsfreiheit prägen, ohne die es keine Verlage gäbe, wie wir sie kennen, und damit auch keine zivile Gesellschaft, wie wir sie kennen«, sollte er Jahre später einem Journalisten gestehen. Und als die Gefahr am größten, das gegnerische Feuer am heftigsten war, hielt er die Stellung. Er bekam Todesdrohungen gegen sich und seine junge Tochter. Es gab mit Blut geschriebene Briefe. Überall Sicherheitsbeamte, die Schnüffelhunde und Bombenaufspürapparaturen in den Posträumen, sie verwandelten die Verlage in London und New York in eine Art Kriegsgebiet. Es gab Bombendrohungen, Gebäuderäumungen, Provokationen und Diffamierungen, doch wich er keinen Millimeter. Dies sollte als ein großartiges Kapitel in die Geschichte des Verlagswesens eingehen, als eine der bedeutenden, prinzipienfesten Verteidigungen der Freiheit, und an Mayer würde man sich als an den Anführer dieses heroischen Teams erinnern.
Beinahe jedenfalls.
Monatelanger Druck forderte von Mayer seinen Tribut, schwächte seinen Willen. Offenbar begann er sich einzureden, dass er alles Nötige getan hatte. Das Buch war veröffentlicht und immer noch im Druck; er war sogar bereit, dafür zu sorgen, dass die gebundene Ausgabe unbegrenzt im Druck blieb; also konnte das Taschenbuch an irgendeinem Tag in ferner Zukunft erscheinen, an einem imaginären Termin, dann, wenn die Lage entschärft war. Für den Augenblick bestand keine Notwendigkeit, noch etwas zu unternehmen und erneut sich, seine Familie und seinen Mitarbeiterstab zu gefährden. Er begann, Probleme mit den Gewerkschaften zu bekommen. Er mache sich, sagte er, Sorgen um den Mann neben ihm im Lagerhaus an der Pinkelrinne. Was wollte er seiner Familie sagen, wenn seinem Pissgefährten etwas zustieße? Briefe flogen zwischen Andrew, Gillon, Mayer und dem Autor des umkämpften Buches hin und her. Mayers Briefen war eine zunehmende syntaktische Verwirrung anzumerken, die seinem offensichtlich angespannten inneren Zustand entsprach. Feierliches lautes Vorlesen von Mayers Briefen – bei Telefonaten oder manchmal auch, wenn sie sich treffen konnten – bot Andrew, Gillon und Joseph Anton, alias Seeschwalbe, Anlass zu schwärzestem Humor. Es war eine Zeit, in der man seinen Spaß an düsteren Orten suchen musste.
Mayer versuchte zu erklären, warum er seinen Freund und Anwalt Martin Garbus bei einem Treffen dabeihaben wollte, ohne jedoch zuzugeben, dass er ihn aus anwälterischen, juristischen Gründen an seiner Seite wissen wollte: »Die persönliche Begegnung mit Ihnen ist für mich wichtiger, als auf irgendeinen Aspekt eines Treffens aus welchen Gründen auch immer zu beharren, von denen keiner im mindesten persönlicher Natur wäre … Ich weiß nur, dass man sich manchmal in seinen eigenen Ansichten verfängt, was ich Ihnen allerdings nicht in exklusivem Sinne unterstellen möchte, vielmehr will ich damit nur sagen, dass dies ebenso auf mich wie auf uns zutreffen könnte. Ich dachte, wie es manchmal vorkommt, dass, sollten die Gespräche ins Stocken geraten (was selbst dann geschehen kann, wenn jedermann die besten Absichten hegt), ein wohlwollender Dritter, der beide Parteien angehört hat, womöglich einen Ausweg und eine für alle Beteiligten nützliche Idee vorschlagen könnte. So läuft es nicht immer, ich weiß, doch uns um eine derartige Chance zu bringen, wäre das Letzte, was ich wollte, vor allem wenn es jemanden gibt, der als Unterhändler so begnadet ist wie dieser Mann … Vorläufig werde ich Marty daher bitten, nach London zu fliegen, kann er doch nicht am Treffen teilnehmen, wenn er nicht in der Stadt ist.« Spätestens jetzt kippte ihr Lachen ins Hysterische, und es fiel ihnen nicht leicht, die feierliche Lesung zu Ende zu bringen. »Wie Sie Obigem leicht entnehmen können«, kam Mayer zum Schluss, »freue ich mich darauf, Sie zu sehen.«
Er, der Autor, den zu sehen Peter Mayer sich freute, hatte darum gebeten, das Taschenbuch vor Ende 1989 herauszubringen, denn solange der Publikationskreislauf nicht
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