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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Charakterzügen hat etwas Gewaltsames, wie man weiß; unterdrückt man eine Eigenart, unterdrückt man zwangsläufig auch die nächste.« John Kennedy, nicht gar so geschwätzig wie Bellows Augie, sagte es in nur drei Worten: »Freiheit ist unteilbar.«
    Es gab Grundsätze, nach denen er gelebt hatte, fast ohne es zu wissen. Künstlerische Freiheit war die Luft gewesen, die er atmete, und da es davon genügend gab, hielt er es für unnötig, großes Aufheben darum zu machen, wie wichtig es war, ausreichend Luft zum Atmen zu haben. Dann fingen Leute an, ihm die Luftzufuhr abzudrehen, und er musste darauf bestehen, dass man so etwas nicht tut.
    Im Augenblick aber verbrachte er fast den ganzen Tag damit, ein drängenderes Problem zu lösen: Wo sollte er in der nächsten Woche leben? Wieder kam Jane Wellesley zu seiner Rettung. Ihr gehörte ein kleines Haus in Ayrshire, und sie bot es ihm mit derselben spontanen Selbstverständlichkeit an, mit der sie ihm zuvor schon geholfen hatte. Die Wagen rasten nach Norden. In der entlegenen schottischen Einsamkeit wurde ein Problem deutlich, mit dem sein Team zu kämpfen hatte, wohin sie auch fuhren: Den Unsichtbaren verbergen war einfach, nicht ganz so einfach aber war es, zu erklären, warum zwei Jaguar im Schuppen neben Janes Haus standen. Und wer waren diese vier riesigen Kerle, die durch die Nachbarschaft stapften? Das Misstrauen der Dörfler war rasch geweckt und nicht leicht zu beschwichtigen. Außerdem hielten sie sich jetzt im Zuständigkeitsbereich des schottischen Special Branch auf, und dem gefiel es nicht, eine solch sensible Angelegenheit den in sein Revier eingefallenen englischen Kollegen allein zu überlassen, weshalb man auch von schottischer Seite ein Team schickte. Nun waren es also vier riesige Autos in und um Janes Schuppen und acht riesige Männer, von denen einige gestikulierend und argumentierend die ganze Nacht in ihren Autos hockten. » Eure Anwesenheit geheim zu halten«, sagte er seinen Bodyguards, »ist das eigentliche Problem.«
    Jane kam, um nach ihm zu sehen, und brachte Bill Buford mit. Buford, der mehr als nur ein bisschen in sie verliebt war, folgte ihr wie ein lebhafter amerikanischer Welpe auf Schritt und Tritt, und sie behandelte ihn mit liebevollem, aristokratischem Amüsement. Er tollte durchs Haus, der glückliche Schelm am Hofe der Lady Jane, es fehlten nur das bunte Wams, Glöckchen und Narrenkappe. Wenn die Sonne durchbrach, war Ayrshire für kurze Zeit mitten im Sturm eine Insel der Glückseligkeit. Bill sagte: »Du brauchst ein hübsches Haus, in dem du eine Weile bleiben und dich wohlfühlen kannst. Ich besorg es dir.«
    Bill ist eine TYPE , und die Großbuchstaben sind nötig, um sein Übermaß auszudrücken. Er ist ein Armeschwenker, ein Um-den- Hals-Faller, ein Mann, der mit Emphase und Ausrufezeichen spricht, ein Selfmadekoch, ehemals American-Football-Spieler, ein kluger Leser mit profunder Kenntnis der elisabethanischen Literatur, ein Entertainer, halb intellektueller Eierkopf, halb Zirkusclown. Er hat aus Granta , einer eingegangenen Studentenzeitschrift der Uni Cambridge, die Hauspostille seiner begabten Generation gemacht. Amis fils , McEwan, Barnes, Chatwin, Ishiguro, Fenton und Angela Carter, sie alle brillierten auf seinen Seiten; George Steiner erlaubte ihm, seine Hitler-Novelle The Portage to San Cristobal of A. H . in ganzer Länge zu veröffentlichen; er taufte das Werk der Amerikaner Carver, Ford, Wolff und Joy Williams ›dirty realism‹; seine erste Reise-Ausgabe löste einen Boom an Reisebuchliteratur aus, und bei alldem zahlte er seinen Autoren schockierend wenig, brachte manch einen gegen sich auf, weil er eingesandte Beiträge monatelang nicht las und nicht entschied, ob sie erscheinen sollten, machte andere Autoren durch seinen ag gres siv eingreifenden Lektoratsstil so wütend, dass er all seinen legen dären Charme aufbringen musste, um von diesen Leuten nicht verprügelt zu werden, und warb um Abonnements für eine vierteljährliche Zeitschrift, der es in all den sechzehn Jahren, in denen er sie führte, nie gelang, mehr als drei Ausgaben pro Jahr herauszubringen. Wenn er kam, brachte er großartigen Wein mit und kochte ein Festessen mit köstlichen Soßen und abgehangenem Wild – Infarktessen –, und die Zimmer, in denen er sich aufhielt, hallten gewöhnlich vor Gelächter wider. Er war ein Geschichtenerzähler, ein Tratschmaul und schien der letzte Mensch auf Erden zu sein, den man in das Heiligtum der

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