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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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würde es leichter sein, Zafar zu treffen, auch wenn die Polizei sich weiterhin weigerte, Zafar zu seinem ›Aufenthaltsort‹ zu bringen. Er war zehn Jahre alt, und die Beamten fürchteten, er könnte sich in der Schule verplappern. Sie unterschätzten ihn. Er war ein Junge mit bemerkenswerter Selbstbeherrschung. In all den Jahren, in denen sein Vater unter Personenschutz stand, hat er sich nie auch nur eine einzige unvorsichtige Bemerkung zuschulden kommen lassen.
    *
    Auch ein bequemes Gefängnis bleibt ein Gefängnis. Im Wohnzimmer hingen alte Gemälde, eines von einer Kammerzofe am Hofe von Elisabeth I., ein anderes zeigte eine gewisse Miss Bastard, die ihm auf Anhieb sympathisch war. Sie glichen Fenstern in eine andere Welt, doch konnte er durch sie nicht entkommen. In seiner Tasche hatte er keinen Schlüssel zu diesem Haus voller nachgemachtem antikem Mobiliar, für das er an Miete ein kleines Vermögen zahlte, und er konnte nicht einfach aus der Haustür auf die Dorfstraße spazieren. Er musste Einkaufslisten schreiben, mit denen ein Beamter zu einem Supermarkt fuhr, der, um jeden Verdacht zu vermeiden, viele Kilo meter entfernt lag. Und jedes Mal, wenn die Putzfrau kam, musste er sich ins Bad einschließen oder vorher aus dem Haus geschmuggelt werden. Und immer wenn es dazu kam, stiegen in ihm die Wellen der Scham auf. Dann kündigte die Putzfrau, weil sich ›seltsame Männer‹ in der Pfarrei aufhielten, was er natürlich ziemlich besorgniserregend fand. Wieder einmal fiel es schwerer, die Anwesenheit der Polizisten zu erklären, als seine Anwesenheit zu verbergen. Danach putzten und staubsaugten sie selbst. Die Polizei hielt ihre Zimmer sauber, er seinen Teil des Hauses. Das war ihm lieber als die Alternative.
    In jenen Jahren wurde ihm klar, dass die Leute glaubten, er lebe in einer Art Isolationstrakt oder in einem riesigen Safe mit einem Guckloch, durch das ihn seine Bewacher beobachteten, allein, immer allein. Würde er, dieser so überaus gesellige Schriftsteller, in dieser Einzelhaft nicht unweigerlich jedes Gefühl für die Wirklichkeit verlieren, sein literarisches Talent, seinen gesunden Verstand? In Wahrheit aber war er weniger allein, als er es je gewesen war. Wie allen Schriftstellern war ihm die Einsamkeit vertraut und er es gewohnt, mehrere Stunden am Tag für sich allein zu sein. Wer mit ihm zusammenlebte, hatte sich damit abgefunden, dass er die Stille brauchte. Nun aber hauste er mit vier großen bewaffneten Kerlen unter einem Dach, mit Männern, die es nicht gewohnt waren, still zu sein, die alles andere waren als Bücherwürmer und Stubenhocker. Sie polterten und trampelten durchs Haus, lachten laut, und der Lärm ihrer Anwesenheit ließ sich kaum ignorieren. Er schloss die Türen, sie ließen sie offen stehen. Er zog sich zurück, sie rückten vor. Es war nicht ihre Schuld. Sie dachten, er brauche ein wenig Gesellschaft, sehne sich danach. Um nichts kämpfte er folglich so sehr wie um ein bisschen Einsamkeit, damit er sich denken hören, damit er arbeiten konnte.
    Die Teams wechselten, und jeder Beamte hatte seine eigene Art. Da gab es jemanden namens Phil Pitt, ein wahrer Riese, ein Waffennarr und selbst nach den Maßstäben des Special Branch ein Meisterschütze, was in einem Feuergefecht von unschätzbarem Wert sein mochte, in einer Pfarrei aber ein wenig beängstigend war. Im Branch hatte man ihm den Spitznamen ›Rambo‹ gegeben. Und dann war da Dick Billington, das glatte Gegenteil, ein Brillenträger mit nettem, schüchternem Lächeln. Er entsprach genau dem Bild von einem Landpfarrer, den man in einer Pfarrei erwartete, nur trug er eine Waffe. Und dann waren da noch die BBF s. Sie hockten in ihrem Teil des Hauses in Essex, brieten sich Würstchen, spielten Karten und langweilten sich zu Tode. »Eigentlich werde ich ja von meinen Freunden beschützt«, sagte er einmal in einem Augenblick der Verzweiflung zu Dick Billington und Phil Pitt, »die leihen mir ihre Häuser, mieten Unterkünfte für mich, bewahren meine Geheimnisse. Ich erledige gleichsam nur die Drecksarbeit und verstecke mich in Badezimmern.« Wenn er so etwas sagte, sah Dick Billington meist ein bisschen belämmert drein, während Phil Pitt vor Wut kochte. Phil war kein Mann vieler Worte, und angesichts seiner Körpergröße und seiner Waffenvernarrtheit war es vermutlich keine gute Idee, ihn zum Kochen zu bringen. Nachsichtig erklärten sie ihm, dass ihre Arbeit nur wie Nichtstun aussähe, und das sei auch gut so,

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