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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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mit Bill zu reden, und sie gingen ins kleine Fernsehzimmer der alten Pfarrei. Bill gestand, ja, es sei einmal passiert, und er habe sich gleich wie ein Idiot gefühlt, aber nicht gewusst, wie er es ihm sagen sollte. Sie redeten anderthalb Stunden lang und wussten beide, dass ihre Freundschaft auf dem Spiel stand. Sie sagten, was gesagt werden musste, sagten es mal laut, mal leise, mal wütend und schließlich mit einem Lachen. Am Ende einigten sie sich darauf, das Vorgefallene zu vergessen und nicht mehr davon zu reden. Er kam sich selbst auch wie ein Idiot vor, der, was seine Ehe anging, erneut zu einer Entscheidung kommen musste. Es war, als gäbe man das Rauchen auf und finge dann wieder an. Das hatte er übrigens auch getan. Nach fünf Jahren als Nichtraucher war er nun wieder von der Droge abhängig. Er ärgerte sich über sich selbst. Er würde bald mit diesen schlechten Angewohnheiten aufhören müssen.
    Hermitage Lane 15 war ein kleines, burgähnliches Gebäude an einer anonymen Straßenecke, hässlich und fast ohne Möbel. Cosima setzte den Vermietern zu, bis sie sich bereit erklärten, für ein Minimum an Mobiliar zu sorgen, einen Arbeitstisch und einen Stuhl, ein paar Sessel und Küchengeräte. Solange er aber dort wohnte, machte das Haus den Eindruck, unbewohnt zu sein, und dennoch fand er hier wieder zum Arbeiten. Endlich kam er mit Harun und das Meer der Geschichten voran.
    Am 15. Dezember 1989 verhaftete man in Manchester vier Iraner, die verdächtigt wurden, Mitglieder eines Killerkommandos zu sein. Einem von ihnen, Mehrdad Kokabi, warf man vor, Brandanschläge und Bombenattentate auf Buchläden geplant zu haben. Danach wurde es noch schwieriger, Peter Mayer zu bewegen, sich auf ein Datum für die Taschenbuchausgabe von Die satanischen Verse festzulegen. »Vielleicht Mitte nächsten Jahres«, sagte er Andrew und Gillon. Und wie um die Katastrophe perfekt zu machen, bekam Random House plötzlich kalte Füße, als es um den Vertrag für seine künftigen Bücher ging. Alberto Vitale, Vorsitzender von Random House, Inc., erklärte, sie hätten ›die Gefahr unterschätzt‹, und am 8. Dezember trat Random House vom Vertrag zurück. Jetzt hatte er keine Taschenbuchausgabe und keinen Verleger. Sollte er mit dem Schreiben aufhören? Die Antwort lag auf seinem Tisch, wo Harun darauf wartete, geschrieben zu werden. Und Bill redete mit großer Liebenswürdigkeit auf ihn ein. Die Zeitschrift Granta wollte einen Verlag gründen, Granta Books. »Lass uns dein Buch machen«, sagte er. »Ich werde dir beweisen, dass wir dafür viel besser sind als eines der großen Häuser.«
    Das Brandenburger Tor wurde geöffnet, und die beiden Städte Berlin wuchsen wieder zusammen. In Rumänien wurde Ceau s ¸ escu gestürzt. Er willigte ein, für The New York Times eine Rezension des Romans Vineland zu schreiben, mit dem Thomas Pynchon sein langes Schweigen brach. Samuel Beckett starb. Er verbrachte ein weiteres Wochenende mit Zafar in der alten Pfarrei, und nichts tat seiner Stimmung so gut wie die Liebe seines Sohnes. Dann war es Weihnachten, und der Romancier Graham Swift bestand darauf, dass er die Feiertage mit ihm und seiner Lebensgefährtin Candice Rodd in ihrem Haus in Südlondon verbrachte. Silvester war er ebenfalls mit Freunden zusammen, mit Michael Herr und dessen Frau Valerie, die sich die unwiderstehliche Angewohnheit zugelegt hatten, einander ›Jim‹ zu nennen. Für sie gab es kein Darling , kein Liebling , kein Schätzchen . In seinem tiefen, schleppenden Amerikanisch und ihrem hellen englischen Zirpen jimten sie das alte Jahr zur Tür hinaus. »He, Jim?«, » Ja, Jim?«, »Ein frohes neues Jahr, Jim!«, »Dir auch, Jim!«, »Ich liebe dich, Jim«, »Ich dich auch, Jim.« Und so wurde das neue Jahr, 1990, in Gesellschaft von Jim und Jim mit einem Lächeln auf den Lippen geboren.
    Und Marianne war auch da. Ja. Marianne auch.

IV
    Die verhängnisvolle Falle, geliebt werden zu wollen

S EIT EINIGER ZEIT ERHIELT ER BRIEFE von einer Frau aus Delhi namens Nalini Mehta. Er kannte niemanden, der so hieß. Sie aber war sich sicher, ihn zu kennen, nicht gesellschaftlich, sondern körperlich, pornografisch, biblisch . Sie kannte die Termine und Orte ihrer Verabredungen und konnte die Hotelzimmer beschreiben, sogar die Aussicht aus den Fenstern. Die Briefe waren nicht nur gut geschrieben; sie waren klug, die Handschrift, aufgetragen mit dünnem, blauem Filzstift, war kräftig und ausdrucksstark. Die Fotos dagegen fand er

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