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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Fehler, doch er war längst Essawys Zombie. Am Ellbogen die Hand des Zahnarztes, wurde er behutsam zum leeren Stuhl geführt.
    Alle wurden ihm vorgestellt, doch registrierte er kaum ihre Namen. Da waren Bärte, Turbane und neugierige, durchdringende Blicke. Er erkannte Zaki Badawi, den ägyptischen Präsidenten des Muslim College in London, ein ›Liberaler‹, der Die satanischen Verse verdammt, aber gesagt hatte, er würde dem Autor im eigenen Haus Zuflucht gewähren. Er wurde Mr Mahgoub vorgestellt, dem ägyptischen Minister für awqaf (religiöse Stiftungen), und Scheich Gamal Manna Ali Solaiman von Londons Goldkuppelmoschee im Regent’s Park sowie Scheich Gamals Amtsbruder Scheich Hamed Khalifa. Essawy stammte aus Ägypten, und er hatte Ägypter in diesem Raum versammelt.
    Sie hatten ihn jetzt, also lachten und scherzten sie anfangs und gaben einige derbe Kommentare über den böswilligen Gartenzwerg Kalim Siddiqui zum Besten, Irans Schoßhund. Man versprach, eine weltweite Kampagne zu starten, mit der die Fatwa ad acta gelegt werden sollte. Er versuchte, die Ursprünge seines Romans zu erklären, und man kam überein, dass die Kontroverse auf ›einem tragischen Missverständnis‹ beruhte. Er war kein Feind des Islam. Sie wollten ihn als Mitglied der muslimischen Intelligenzija anerkennen, das war ihr sehnlichster Wunsch. Wir wollen, dass Sie zu uns gehören . Man verlange von ihm nur eine gewisse Geste des guten Willens.
    Er solle sich, sagten sie, von jenen Aussagen distanzieren, mit denen seine Romanfiguren den Propheten und dessen Religion angriffen oder beleidigten. Er hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass man unmöglich zeigen konnte, wie eine neue Religion verfolgt wurde, ohne die Verfolger zu zeigen, wie sie die Religion verfolgten, und dass es eine offenkundige Ungerechtigkeit sei, die Ansichten des Autors mit denen seiner Figuren gleichzusetzen. Na also, stimmten sie ein, dann dürften ihm die gewünschten Äußerungen ja nicht schwerfallen.
    Er solle mit der Publikation der Taschenbuchausgabe warten, sagten sie. Er erklärte ihnen, dass es ein Fehler wäre, darauf zu beharren; sie würden wie Zensoren dastehen. Sie sagten, eine gewisse Zeit sei vonnöten, um ihr Versöhnungswerk greifen zu lassen. Er müsse ihnen diese Zeit verschaffen. Sobald die Missverständnisse beseitigt seien, würde sich niemand mehr über das Buch aufregen, und weitere Ausgaben sollten kein Problem mehr bedeuten.
    Zu guter Letzt müsse er noch beweisen, dass er es ernst meine. Er wisse ja, was die shahadah sei, nicht wahr. Er sei in Indien aufgewachsen, wo man es qalmah nenne, doch sei es das Gleiche: Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet . Das sei die Erklärung, die er heute geben müsse. Das würde ihnen erlauben, ihm die Hand in Freundschaft, Vergebung und Verständnis zu reichen.
    Er sagte, er sei bereit, sich zu einer säkularen muslimischen Identität zu bekennen und zu erklären, dass er in dieser Tradition aufgewachsen sei. Auf das Wort ›säkular‹ reagierten sie gar nicht gut. ›Säkular‹ sei des Teufels. Das Wort hätte nie fallen dürfen. Er müsse es deutlich mit den altehrwürdigen Worten sagen, das sei das Einzige, was alle Muslime verstünden.
    Sie hatten ein Dokument vorbereitet. Essawy gab es ihm. Es war hölzern formuliert und voll grammatischer Fehler. Das konnte er nicht unterschreiben »Überarbeiten Sie es, machen Sie«, bedrängten sie ihn. »Sie sind der große Schriftsteller, wir nicht.« In einer Zimmerecke standen ein Tisch und noch ein Stuhl. Er nahm das Blatt, setzte sich und las es sorgfältig durch. »Lassen Sie sich Zeit«, sagten sie. »Sie sollen mit dem zufrieden sein, was Sie unterschreiben.«
    Er war nicht zufrieden. Er zitterte vor Elend. Jetzt wünschte er sich, er hätte seine Freunde um Rat gefragt. Was hätten sie gesagt? Was hätte ihm sein Vater geraten? Er sah sich am Rand eines tiefen Abgrunds schwanken, aber er hörte auch das verführerische Wispern der Hoffnung. Wenn sie taten, was sie sagten … wenn der Streit ein Ende fände … wenn, wenn, wenn.
    Er unterschrieb den überarbeiteten Text und gab ihn Essawy. Die sechs ›Richter‹ unterschrieben ihrerseits. Man umarmte und beglückwünschte sich. Dann war es vorbei. Er fühlte sich verloren in einem Wirbelsturm, blind vom soeben Getanen und ohne eine Ahnung, wohin der Tornado ihn trug. Er hörte nichts, sah nichts, spürte nichts. Die Polizei brachte ihn aus dem Zimmer; im unterirdischen

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