Joseph Anton
Patty Hearst verwandelt zu haben. Ich dachte an Oslo … nein, nicht an Oslo, an das Stockholm-Syndrom.« Der Rest des langen Artikels, vorgeblich eine Besprechung von Harun und das Meer der Geschichten für The New York Review of Books , bot ein Porträt des Autors als guten Menschen – zumindest als einer unterhaltsamen Person –, ein Porträt, dessen uneingestandene Absicht es war, auf überaus delikate Weise und ohne dergleichen je in Worte zu fassen, den guten Leumund des Autors in den Augen der ›bestürzten Freunde‹ wiederherzustellen. War dieser Artikel bereits ein überwältigender Beleg für James’ Großherzigkeit gewesen, so bewies der Umstand, dass er ihm nun sein Haus überließ, noch etwas mehr: Sein Verständnis dafür, wie sehr man mitten in einem Krieg der Solidarität bedurfte. Man ließ seine Freunde nicht im Stich, wenn sie unter Beschuss gerieten.
Widerwillig gab Mr Greenup seine Zustimmung zum Umzug auf die Long Leys Farm. Mr Anton vermutete, der Polizeibeamte hätte ihn nur zu gern in einer Kaserne eingesperrt, um ihn für all die Ärgernisse, all die öffentlichen Kosten zu bestrafen, die er verursacht hatte, stattdessen aber packte der kleine Zirkus der Operation Malachite seine Siebensachen und tauschte London SW 19 gegen den Barockgarten von Cumnor ein und dessen Wächtermast, der wie ein Koloss über ihre beengte Welt zu wachen schien.
Er spürte, wie bekümmert Elizabeth war. Die Anstrengungen der letzten Entwicklungen hatten ihr strahlendes Lächeln gedämpft. Das Bild von einer Killertruppe, die ihrer Tat so sicher war, dass sie dafür eine Frist vorgab, hätte manch eine Frau davonlaufen und rufen lassen: »Sorry, aber das ist nicht mein Kampf!« Elizabeth ertrug es tapfer. Sie ging weiterhin ihrem Job bei Bloomsbury nach und besuchte ihn an den Wochenenden. Dabei dachte sie daran, die Stelle aufzugeben, damit sie nicht länger getrennt leben mussten; außerdem wollte sie schreiben. Sie war eine Dichterin, auch wenn sie zögerte, ihm ihre Arbeiten zu zeigen. Nur einmal hatte sie ein Gedicht über einen Mann auf einem Einrad herausgerückt, und er hatte es ziemlich gut gefunden.
Er zog nach Cumnor, und eine Zeitlang war es unmöglich, Zafar oder Freunde in London zu sehen. Er versuchte, mit einem neuen Roman klarzukommen, den er provisorisch Des Mauren letzter Seufzer nannte, doch wanderten seine Gedanken ziellos umher, weshalb er in einer Reihe von Sackgassen landete. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Roman irgendwie eine indische Familienerzählung mit der andalusischen Geschichte vom Fall Granadas verbinden würde, der Geschichte von Boabdil, dem letzten Sultan, der, so die Mutter des Sultans verächtlich, »wie eine Frau um das weinte, was er nicht wie ein Mann verteidigen konnte«, als er die Sonne ein letztes Mal über dem arabischen Spanien untergehen sah, doch konnte er die Verbindung nicht finden. Er dachte an Mijas, wohin Clarissas Mutter Lavinia emigriert war, und an das dort gefundene Buch von Ronald Fraser über das Leben von Manuel Cortés, der zu Beginn des Bürgerkriegs Bürgermeister von Mijas gewesen war. Nach dem Krieg kehrte Cortés heim und musste dreißig Jahre vor Franco versteckt werden, ehe er wie Rip van Winkle wieder auftauchte, um Zeuge der touristischen Reihenhausverschandelung der Costa del Sol zu werden. Der Titel des Buches lautete Im Versteck .
Er dachte an Picasso und schrieb einen seltsamen Abschnitt über Málaga, in der der große Mann geboren worden war. Auf dem Platz spielen Kinder, Kinder mit beiden Augen auf derselben Seite der Nase. Sie verkleiden sich als Harlekin und Pierrot. Eine Bombe, geformt wie eine Glühbirne, durchbohrt ein elend wieherndes Pferd. Zeitungen kleben am Bauch schwarzer Gitarren. Frauen werden zu Blumen. Es gibt Obst. Der Nachmittag ist heiß. Sie zimmern ihm einen schiefen Sarg, eine Collage aus Himmel und Gedrucktem. Er trinkt auf der eigenen Beerdigung. Seine Frauen lächeln, spucken aus und nehmen sein Geld.
Der Künstler fand keinen Zugang zum Roman, doch dann begann er zu begreifen: Es sollte ein Roman über Künstler werden, und die andalusische Alhambra würde von einer Inderin gemalt werden, die auf der Kuppe des Malabar Hill in Bombay stand. Die beiden Welten trafen sich in der Kunst.
Er füllte sein Notizbuch mit einem Beckett’schen, vielleicht auch kafkaesken Bericht in der ersten Person, geschrieben von einem Mann, der regelmäßig geschlagen wurde, gefangen gehalten in einem lichtlosen Raum von
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