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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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morgens los, die Zeitungen zu holen, und sah grimmig drein, als er zurückkehrte. »Tut mir leid«, sagte er, »ist ziemlich schlimm.«
    Marianne hatte der Sunday Times ein Interview gegeben. Die Zeitung brachte es auf der Titelseite. RUSHDIES FRAU FINDET IHREN MANN SELBSTSÜCHTIG UND EITEL von Tim Rayment. »Salman Rushdies Frau nannte ihren Mann gestern einen schwachen, selbst süchtigen Menschen, der nicht der Rolle gerecht werde, die ihm die Geschichte zuwies … ›Wir alle, die ihn lieben, die ihm treu ergeben und seine Freunde waren, wünschen uns, dass dieser Mann so groß wie das ihm Widerfahrene wäre. Er ist es nicht, und das ist das Geheimnis, das alle zu wahren hoffen. Er ist nicht gerade der mutigste Mensch der Welt und würde alles tun, um sein Leben zu retten.‹« Derglei chen gab es noch viel, viel mehr. Sie behauptete, er habe ihr gesagt, er wolle Oberst Gaddafi treffen, und in dem Moment habe sie gewusst: ›Ich will nicht mehr mit ihm verheiratet sein.‹ Interessanterweise bestritt sie nun ihre früheren Behauptungen, denen zufolge die Beamten des Special Branch sie allein irgendwo in der englischen Provinz unweit einer Telefonzelle zurückgelassen hätten. Nein, so sei es nicht gewesen; was wirklich passiert war, wollte sie aber auch nicht sagen. Sie warf ihm vor, ›wütende Nachrichten‹ auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen zu haben, die Presse zu manipulieren und sich für das Thema freie Meinungsäußerung letztlich gar nicht zu interessieren. Er interessiere sich allein für sich selbst. »Der Gedanke, es gehe um ihn, war sein größter Irrtum. Es geht nicht um ihn. Es geht um freie Meinungsäußerung und die rassistische Gesellschaft Großbritanniens, aber dazu hat er sich nicht zu Wort gemeldet. In den vergangenen zwei Jahren hat sich für ihn alles nur um Salman Rushdies Karriere gedreht.«
    Sie war eine gewandte Rednerin und ihr Angriff verletzend. Er verstand, was sie wollte. Man wusste, dass sie verheiratet waren, und Marianne rechnete sich aus, wenn sie ihn einen schwachen, feigen Gaddafi-Freund und Karrieristen nannte, wenn sie seinen jahrelangen Einsatz für die Freiheit der Rede und Freiheit im Allgemeinen im britischen PEN und anderen Gruppierungen vergessen machen, wenn sie das Bild des jungen Booker-Preis-Gewinners auslöschen konnte, der am Morgen nach seinem Sieg mit einem Plakat in der Downing Street stand, um gegen die Verhaftung des indonesischen Schriftstellers Pramoedya Ananta Toer zu protestieren, dann machte sie ihn in den bereits voreingenommenen Augen der Öffentlichkeit zu einem Mann, bei dem es sich nicht zu bleiben lohnte, zu einem Mann, den jede Frau, die auf sich hielt, verlassen würde. Sie hatte ihre Abschiedsworte gesprochen.
    Er dachte: Ich habe ihr die Waffen gegeben, mit denen sie mich angreift. Es ist nicht ihr Fehler, sondern meiner .
    Seine Freunde – Michael Herr, Alan Yentob, Harold Pinter – riefen an oder schrieben Marianne, um ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung Ausdruck zu geben. Sie merkte, dass ihr Interview nicht die erhoffte Wirkung hatte, und bemühte die üblichen Ausreden, sie sei falsch zitiert worden, die Zeitung habe sie ›verraten‹, sie habe eigentlich über ihre neue Kurzgeschichtensammlung und über Amnesty International reden wollen; und sie fügte hinzu, ihr Mann habe ihre ›Karriere ruiniert‹. Diese Behauptungen kamen nicht gut an.
    Heimatländer der Phantasie war erschienen und überwiegend mit Respekt, gar Bewunderung aufgenommen worden, doch nahezu alle Leser bedauerten den letzten Essay über seine angebliche ›Bekehrung‹. Sie hatten recht. Er dachte: Ich muss diesen schrecklichen Fehler ungeschehen machen. Ich muss widerrufen, was ich gesagt habe. Solange ich das nicht getan habe, kann ich kein ehrenhaftes Leben führen. Ich bin ein Mensch ohne Religion, der vorgibt, ein religiöser Mensch zu sein. ›Er würde alles tun, um sein Leben zu retten‹, hatte Marianne gesagt. Momentan klingt das wie die Wahrheit. Ich muss es zur Unwahrheit machen .
    Sein Leben lang hatte er gewusst, dass es einen kleinen, umschlossenen Ort im Zentrum seines Wesens gab, zu dem niemand sonst Zugang hatte. Sein ganzes Werk und seine besten Gedanken entsprangen diesem geheimen Ort auf eine Weise, die er nicht ganz verstand. Nun aber drang das grelle Licht der Fatwa durch den Vorhang vor diesem kleinen Unterschlupf, und sein geheimes Ich stand nackt im Rampenlicht. Schwacher Mann, nicht gerade der mutigste Mensch der Welt. Dann ist es

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