Joseph Anton
eben so , dachte er. Nackt, unverstellt, so würde er seinen guten Namen retten; noch einmal wollte er den Zaubertrick der Kunst probieren. Darin allein lag seine wahre Rettung.
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Es war ein großes Haus, voll mit hässlichen Möbeln, doch fühlte es sich solide an, dauerhaft. Es wurde wieder möglich, sich eine Zukunft vorzustellen. Wenn Zafar zur Highgate School ging, wäre er ganz in der Nähe. Elizabeth, die Hampstead Heath über alles liebte, war froh, an ihrem nördlichen Rand zu wohnen. Er konnte ein paar gute Zeilen schreiben und verfasste in jenem April die Kurzgeschichte ›Christoph Kolumbus und Königin Isabella von Spanien erfüllen ihre gemeinsame Bestimmung‹, seine erste Kurzgeschichte nach langer Zeit, und der Nebel des Nichtwissens, der Des Mauren letzter Seufzer umhüllt hatte, begann sich zu lichten. Er schrieb Namen nieder. Moraes Zogoiby, bekannt als der Maure, seine Mutter Aurora Zogoiby, die Malerin. Die Familie stammte aus Cochin, wo der Westen zum ersten Mal den Osten traf. Die westlichen Schiffe kamen nicht, um zu erobern, sondern um Handel zu treiben. Vasco da Gama suchte Pfeffer, das schwarze Gold von Malabar. Ihm gefiel der Gedanke, dass die komplexe Beziehung zwischen Europa und Indien einem Pfefferkorn entsprungen war. Er würde sein Buch auch einem Pfefferkorn entspringen lassen. Die Zogoibys sollten eine Gewürzhändlerfamilie sein. Halb christlich, halb jüdisch, eine ›Mischnuss‹, der Maure nahezu eine Ein-Mann-Minorität. Das Buch sollte zeigen, dass die gesamte indische Realität aus diesem winzigen Pfefferkorn erwachsen konnte. ›Authentizität‹ gehörte nicht allein der Mehrheit, wie die Hindu-Mehrheitenpolitik Indiens neuerdings behauptete. Ein jeder Inder, eine jede indische Geschichte war so authentisch wie die andere.
Allerdings hatte er seine eigenen Probleme mit der Authentizität. Er durfte nicht nach Indien reisen. Wie konnte er da ein wahrhaftiges Buch darüber schreiben? Er musste daran denken, was sein Freund Nuruddin Farah ihm gesagt hatte – Nuruddin, dessen Exil aus Somalia zweiundzwanzig Jahre währte, weil der Diktator Mohammed Siad Barre ihn tot sehen wollte. Jedes Buch, das Nuruddin im Exil schrieb, war ein naturalistisches Porträt Somalias. »Hier drin bewahre ich es«, hatte Nuruddin gesagt und auf sein Herz gezeigt.
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Im Mai verkündeten die zwei Regent’s-Park-Imame, die beim Treffen im Polizeirevier Paddington Green gewesen waren, dass er kein wahrer Muslim sei, da er sich weigere, das Buch zurückzuziehen. Andere ›Führer‹ gestanden ihre ›Enttäuschung‹ und sagten, »wir stehen wieder ganz am Anfang«. Er schrieb eine scharfe Erwiderung, die in The Independent veröffentlicht wurde. Das fühlte sich deutlich besser an. Er spürte, wie er ein, zwei Zentimeter aus den tiefsten Tiefen aufstieg und die lange Reise zurück zu sich selbst begann.
Artikel 19 hatte überlegt, ob es sich noch lohnte, die Arbeit des Internationalen Komitees zu Rushdies Verteidigung zu unterstützen, doch waren Frances und Carmel zum Weitermachen fest entschlossen, sie wollten die Kampagne sogar auf eine neue, stärker öffentliche Weise vorantreiben. Da die britische Regierung hinsichtlich dieses Themas in Apathie versank – was Englands europäische Partner ermutigte, es ihr gleichzutun –, würde das Komitee den Kampf aufnehmen müssen. Frances begleitete Harold Pinter, Antonia Fraser und Ronnie Harwood zu einem Treffen im Außenministerium mit Douglas Hurd, der ihnen sagte, wenn die Tory-Ministerin Lynda Chalker im April in den Iran fahre, werde sie kein Wort über die Fatwa verlieren. Das, so Douglas Hurd, »wäre für Mr Rushdie auch nicht unbedingt hilfreich«. Gerüchte, denen zufolge ein ›Killerkommando‹ eingereist sei, um Mr Rushdie zu jagen, waren bereits bis zur Presse vorgedrungen, doch blieb Mr Hurd fest entschlossen, hilfreich zu bleiben, indem er den Mund hielt. Douglas Hogg, der das Amt als Hurds Stellvertreter von William Waldegrave übernommen hatte, bekannte gleichfalls, dass er es für falsch halte, machte die britische Regierung allzu viel Aufhebens um die Fatwa ; dadurch würde es nur schwerer, die Freilassung der letzten britischen Geiseln im Libanon zu bewirken.
Einen Monat später wurde deutlich, dass diese Art des Stillhaltens scheiterte. Ettore Capriolo, der Übersetzer der italienischen Ausgabe von Die satanischen Verse , wurde von einem ›iranisch aussehenden‹ Mann aufgesucht, der laut Gillon ein Treffen vereinbart
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