Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
Vom Netzwerk:
die nicht-existente ›liberale Inquisition‹ sowie dessen Stolz auf den Islam als einer Religion des ›militanten Zorns‹ – war aufs Neue erwacht, ebenso seine Abneigung gegen einige seiner vermeintlichen Unterstützer, die nun fanden, dass er ihre Unterstützung nicht länger verdiente. James Fenton schrieb einen verständnisvollen Artikel in The New York Review of Books , in dem er ihn gegen das Phänomen der ›bestürzten Freunde‹ in Schutz nahm. Der ›Traum-Salman‹ in den Köpfen dieser Menschen sei von den Taten des echten Salman enttäuscht, weshalb diese Bestürzten nun fanden, ach, zur Hölle mit ihm, er sei ihrer Freundschaft nicht wert. Da könne man ihn doch ebenso gut auch den Attentätern überlassen.
    Er musste an etwas denken, was Günter Grass ihm einmal über das Verlieren gesagt hatte: dass es bedeutsamere Lektionen lehrte als das Gewinnen. Die Sieger hielten sich und ihre Ansichten für gerechtfertigt und bestätigt, sie lernten nichts. Die Verlierer mussten alles überdenken, was sie für wahr und ihres Kampfes für wert gehalten hatten, womit sie die Chance bekamen, etwas zu lernen, wenn auch auf die harte Tour, die wichtigste Lektion nämlich, die das Leben geben konnte. Als Erstes lernte er, dass er nun wusste, wie tief er fallen konnte. Erst wenn man am Boden liegt, weiß man, wie tief man tatsächlich gesunken ist. Und er wusste nun, dass er dahin nie wieder zurückwollte.
    Er begann die Lektion zu lernen, die ihn befreien sollte: Gefangen zu sein von dem Wunsch, geliebt zu werden, hieß, in einer Zelle zu stecken, in der man endlose Qualen litt und aus der es kein Entkommen gab. Er musste begreifen lernen, dass es Menschen gab, die ihn niemals lieben würden. Wie sorgsam er sein Werk auch erklärte oder seine Absichten darlegte, sie würden ihn niemals mögen. Der vernunftlose, von zweifelsfreien Glaubensgewissheiten getriebene Verstand konnte nicht durch vernünftige Argumente überzeugt werden. Jene, die ihn verteufelt hatten, würden niemals sagen: »Ach, seht doch, er ist gar kein Teufel.« Er musste lernen, dass dies in Ordnung war. Er mochte diese Leute ebenso wenig. Solange er mit dem im Reinen war, was er schrieb und sagte, solange er sich mit seiner Arbeit und seiner öffentlichen Position in Einklang befand, konnte er es ertragen, nicht gemocht zu werden. Er hatte gerade bloß etwas getan, womit er selbst sehr unzufrieden war. Er würde es wieder in Ordnung bringen.
    Und er lernte, dass es, wollte er diesen Kampf gewinnen, nicht genügte, nur zu wissen, wogegen er kämpfte. Das war einfach. Er kämpfte dagegen, dass Leute wegen ihrer Ideen getötet wurden, und dagegen, dass Religionen dem Denken Grenzen setzten. Doch nun musste er auch deutlich sagen, wofür er kämpfte. Für die Redefreiheit, für die Freiheit der Fantasie, für die Freiheit von Furcht und für die schöne, alte Kunst, die ausüben zu dürfen er als Privileg empfand. Auch für Skepsis, Respektlosigkeit, Zweifel, Satire, Komödie, für die frevelhafte Schadenfreude. Nie wieder würde er davor zurückscheuen, sich für ihre Verteidigung einzusetzen. Er hatte sich die Frage gestellt: Bist du, da du einen Kampf austrägst, der dich das Leben kosten mag, auch bereit, das Leben für diese Sache zu verlieren ? Und er hatte es möglich gefunden, darauf mit Ja zu antworten. Falls es nötig wurde, für dieses ›blutige Buch‹ zu sterben, wie Carmen Callil es einmal genannt hatte, dann war er dazu bereit.
    Keiner seiner wahren Freunde reagierte wie die ›bestürzten Freunde‹. Sie scharten sich enger als je zuvor um ihn und versuchten, ihm zu helfen, damit er mit dem zurechtkam, was für sie deutlich als ein starkes Trauma seines Verstandes und Geistes zu erkennen war, eine existentielle Krise. Anthony Barnett rief an, äußerst besorgt: »Wir müssen für dich einen Kreis von Freunden und Beratern gründen«, sagte er. »Du kannst das nicht allein durchstehen.« Er erklärte Anthony, dass er, offen gesagt, gelogen hatte, als er sich zu seinem Glauben bekannte. Er sagte: »Als ich die Verse schrieb, wusste ich: Wir müssen auf diese Weise über Religion reden können; es muss uns freistehen, sie kritisieren, sie historisch betrachten zu dürfen. « Und wenn er nun so tun musste, als habe er mit wir nur wir Muslime gemeint, dann sollte es – für den Augenblick – eben so sein. Das war der Preis, den er fürs Getane zahlen musste.
    »Genau vor solch wohlgemeinten Fehlaussagen«, sagte Anthony, »soll dich

Weitere Kostenlose Bücher