Joseph Anton
Sanei von der Stiftung des 15. Khordad erhöhte das Kopfgeld, um die ›Spesen‹ zu decken. (Mörder, hebt eure Rechnungen auf, Geschäftsessen lassen sich absetzen!) Drei Iraner wurden aus dem Vereinigten Königreich ausgewiesen, weil sie heimlich seine Ermordung planten: zwei Botschaftsangestellte, Mehdi Sayes Sadeghi und Mahmoud Mehdi Sol tani, und ein ›Student‹, Gassem Yakhshiteh. Im Iran ›ersuchte‹ die Majlis – die angeblich ›gemäßigte‹ und bei den jüngsten iranischen Wahlen vom Volk gewählte Majlis! – den Präsidenten Rafsandschani, die Fatwaaufrechtzuerhalten, und der Rafsandschani-Anhänger Ayatollah Jannati ließ dazu verlauten, »es sei an der Zeit, diesen dreckigen Rushdie umzubringen«.
Er fuhr nach Südlondon, um mit dem Maler Tom Phillips Tischtennis in dessen Atelier zu spielen. Das schien genau das Richtige zu sein. Tom hatte angefangen, sein Porträt zu malen – er sagte Tom, er finde sich darauf zu trübsinnig, doch Tom meinte: »Trübsinnig? Was soll das heißen? Ich nenne es Mr Quietschvergnügt « –, also saß er zwei Stunden dafür still und verlor dann beim Tischtennis. Er verlor nicht gern beim Tischtennis.
An dem Tag verkündete die Stiftung des 15. Khordad, sie werde in Kürze Killerteams nach Großbritannien entsenden, um die Fatwa zu vollstrecken. Beim Tischtennis zu verlieren war bitter, doch er versuchte, die Nerven zu behalten.
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Zum letzten Mal betrat Zafar die Hall School, die nach Kräften versucht hatte, ihn vor dem, was seinem Vater widerfuhr, zu schützen, und deren Lehrer und Schüler es ihm, ohne ein Wort darüber zu verlieren, ermöglicht hatten, inmitten des Wahnsinns eine normale Kindheit zu leben. Zafars Eltern schuldeten der Schule großen Dank. Man konnte nur hoffen, dass die neue Schule sich ebenso liebevoll um ihn kümmerte.
Highgate war in erster Linie eine Tagesschule, doch es gab Häuser für Schüler, die unter der Woche dort blieben, und das wollte Zafar auch. Doch schon nach wenigen Tagen wurde ihm klar, dass er das Internatsleben verabscheute. Er war ein dreizehnjähriger Junge, der gern seine Privatsphäre hatte, doch die gab es in einem Internat nicht. Er war unglücklich. Seine Eltern beschlossen, ihn wieder nach Hause zu nehmen, und die Schulleitung willigte ein. Sofort war Zafar wieder froh und fing an, die Schule zu lieben. Zudem wohnte sein Vater jetzt in Highgate, so konnte er in der Woche dort übernachten, und sie konnten nachholen, was ihnen in vier Jahren entgangen war: Nähe, Beständigkeit und so etwas wie Unbeschwertheit. Im neuen Haus hatte Zafar sein eigenes Zimmer, das nach seinem Wunsch ganz in Schwarzweiß gehalten war. Zwar konnte er seine Freunde nicht mitbringen, doch er verstand den Grund und meinte, es mache ihm nichts aus. Selbst ohne Freundesbesuch war dies um Längen besser als das Internatsleben. Er und sein Vater hatten wieder ein gemeinsames Zuhause.
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In Indien zerstörten extremistische Hindus die vom ersten Mogulkaiser errichtete Babri-Moschee in Ayodhya, eine der ältesten Moscheen des Landes. Die Vandalen behaupteten, die Moschee erhebe sich auf den Ruinen eines Hindutempels, der den Ram-Janmabhumi , den Geburtsort des Gottes Rama, des siebten Avatars von Vishnu, anzeige. Zerstörungswut war kein islamisches Monopol. Eine vielschichtige Trauer ergriff ihn, als er von der Zerstörung erfuhr. Er war traurig, weil sich wieder einmal gezeigt hatte, dass die zerstörerischen Kräfte von Religion die schöpferischen bei weitem überstiegen, dass ein paar haltlose Behauptungen – das heutige Ayodhya liege an derselben Stelle wie das Ayodhya des Ramayana , in dem Rama irgendwann in grauer Vorzeit König gewesen war; der angebliche Geburtsort entspreche dem tatsächlichen; die Götter und ihre Avatare existierten tatsächlich – in der mutwilligen Zerstörung eines wunderschönen existierenden Bauwerkes gipfelten, welches das Pech hatte, in einem Land zu stehen, in dem sich die allenfalls laxe Gesetzgebung zum Schutz des kulturellen Erbes problemlos übergehen ließ, wenn man nur zahlreich genug war und sich den Namen eines Gottes auf die Fahnen schrieb. Und er war traurig, weil er sich noch immer mit dieser muslimischen Kultur Indiens verbunden fühlte, die Mushirul Hasan daran hinderte, zur Arbeit zu gehen, und ihm ein Visum für den Besuch in seinem Geburtsland verweigerte. Die Geschichte des islamischen Indien war unweigerlich auch seine Geschichte. Eines Tages würde er ein Buch über Baburs Enkel
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