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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Wenn Dr. Butt an den Islam glaubte, war das völlig in Ordnung.
    Doch irgendetwas zehrte am Glauben seines Großvaters, zerfraß und zerstörte ihn, machte ihn zu einer Ideologie der Engstirnigkeit und Intoleranz, verbot Bücher, verfolgte Denker, stellte Unumstößlichkeiten auf, verwandelte das Dogma in eine Waffe, die das Undogmatische besiegen sollte. Das musste bekämpft werden, und dazu musste man es beim Namen nennen – und der einzige zutreffende Name lautete Islam. Der real existierende Islam war zu seinem eigenen Gift geworden, an dem Muslime starben. Das musste gesagt werden, in Finnland, Spanien, Amerika, Dänemark, Norwegen und überall. Wenn es sonst niemand täte, würde er es tun. Und er wollte für die Idee einstehen, dass Freiheit ein allen Menschen zustehendes Gut und keine westliche Idee im Sinne Samuel Huntingtons war, mit der die östlichen Kulturen nichts anfangen konnten. Während der ›Respekt für den Islam‹, diese als Tartuffe’sche Heuchelei getarnte Furcht vor islamistischer Gewalt, im Westen Fuß fasste, zerfraß der Krebs des kulturellen Relativismus die multikulturelle Vielfalt der modernen Welt, bis schließlich alle auf John Bunyans Sumpf der Verzagtheit und Verzweiflung zuschlitterten und darin versanken.
    Während er sich von Land zu Land schleppte, an die Türen der Mächtigen klopfte und versuchte, im eisernen Griff dieser oder jener Sicherheitskräfte winzige Splitter Freiheit zu finden, suchte er nach den richtigen Worten, um nicht nur in eigener Sache, sondern auch für das zu sprechen, wofür er von nun an stand oder stehen wollte.
    *
    Ein winziger Splitter Freiheit wurde ihm zuteil, als man ihn zu einem U2-Konzert in Earls Court einlud. Es war während der Achtung-Baby -Tournee mit den wild bemalten, von der Decke baumelnden Trabis. Die Polizei sagte sofort Ja: Endlich etwas, das Spaß machte! Es stellte sich heraus, dass Bono Das Lächeln des Jaguars gelesen hatte und dessen Autor kennenlernen wollte, der ungefähr zur gleichen Zeit in Nicaragua gewesen war wie er. (Er war Bono dort nie über den Weg gelaufen, doch eines Tages hatte seine funkeläugige blonde Dolmetscherin Margerita, die aussah wie ein Jayne-Mansfield-Double, ganz aufgeregt gerufen: »Bono kommt! Bono ist in Nicaragua!«, und dann, in exakt der gleichen Stimmlage und mit ebenso glänzenden Augen: »Wer ist Bono?«) Und jetzt stand er in Earls Court im Dunkeln und lauschte. Nach der Show wurde er backstage in einen mit Sandwiches und Kindern vollgestopften Wohnwagen gebracht. Bei U2-Auftritten gab es Kinderkrippen statt Groupies. Bono kam herein und wurde sofort von seinen Töchtern umlagert. Er wollte über Politik reden – Nicaragua, ein geplanter Protest gegen ein Endlager im nordenglischen Sellafield, seine Unterstützung im Kampf für Die satanischen Verse . Und obwohl sie nicht viel Zeit miteinander hatten, war eine Freundschaft geboren.
    *
    Nigella Lawson und John Diamond hatten in Venedig geheiratet. Wie alle ihre Freunde freute er sich riesig über diese Neuigkeit. Wo John war, wurde viel gelacht. Die Torte für ihre Hochzeitsparty im Groucho Club hatte Ruthie Rogers gemacht, und das Design, behauptete sie, stamme von ihrem Mann, dem großen Architekten höchstpersönlich. »Echt wahr?«, sagte John, »Aber bei einem Richard-Rogers-Entwurf stecken doch sämtliche Zutaten in der Außenhülle.«
    *
    Deutschland war Irans wichtigster Handelspartner. Also musste er dorthin. Eine kleine, grimmige Bundestagsabgeordnete namens Thea Bock wollte dafür sorgen, dass er ›jeden traf‹. Doch dazu musste er erst mal nach Bonn kommen, und mit Lufthansa und British Airways konnte er nicht fliegen. Thea Bock organisierte ein kleines, knallrotes Privatflugzeug, das aussah wie aus einer Erste-Weltkrieg-Story: ›Biggles und die Fatwa‹ . Es war so klein und altmodisch, dass sich die Fenster öffnen ließen, und flog so niedrig, dass er fürchtete, gegen den nächsten Hügel oder Kirchturm zu prallen. Es war, als würde man auf einem indischen Motorroller sitzen – Luft-Rikscha. Glücklicherweise war das Wetter gut, es war ein sonniger, klarer Tag, und der Pilot steuerte sein kleines Töff-Töff ohne Zwischenfälle zur deutschen Hauptstadt, wo die von Thea Bock organisierten Treffen derart erfolgreich waren, dass die Iraner ziemlich aus der Fassung gerieten: Plötzlich wurde dieser Rushdie herzlich vom Parteivorsitzenden der SPD Björn Engholm und von der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und von

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