Joseph Anton
auf, als drehte sie einen Trailer für den Dritten Weltkrieg: Auf ihrem Weg durch den Flugha fen rannten Männer mit riesigen Sturmwaffen durch die Gegend, Polizeibeamte zerrten Passanten aus dem Weg, es wurde geschrien und ge fuchtelt, als stünde man kurz vor einer Katastrophe. Er war entgeis tert, die Umstehenden geschockt und die Fluglinie so perplex, dass sie sich aufgrund seines Benehmens weigerte, ihn je wieder zu befördern. Das Tamtam der Sicherheitskräfte war ›sein‹ Tamtam.
Sie wurden nach Boulder gefahren, wo er zusammen mit Oscar Arias, Robert Coover, William Styron, Peter Matthiessen und William Gass bei einer panamerikanischen Literaturkonferenz auftreten sollte. »Die Schriftsteller Lateinamerikas haben schon vor langer Zeit begriffen, dass Literatur eine Frage von Leben und Tod ist. Inzwischen teile ich diese Erkenntnis«, sagte er in seiner Rede. Er lebte in einem Zeitalter, in dem die Bedeutung von Literatur zu schwinden schien. Bei seiner Mission ging es ihm auch um die Lebensnotwendigkeit von Büchern, darum, wie wichtig es war, die für ihre Entstehung notwendigen Freiheiten zu wahren. In seinem großartigen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht sagt Italo Calvino (mit den Worten seines Protagonisten Arkadian Porphyritsch): »Nirgendwo wird heutzutage das geschriebene Wort so hochgeschätzt wie in Polizeiregimen. Gibt es ein besseres Kriterium zur Unterscheidung der Nationen, in denen die Literatur eine wirkliche Achtung genießt, als das der zu ihrer Kontrolle und Repression bereitgestellten Summen?« Das traf zweifellos zu, beispielsweise auf Kuba. Philip Roth sagte einmal hinsichtlich der sowjetischen Repression: »Bei meinem ersten Besuch in der Tschechoslowakei ging mir auf, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der einem Schriftsteller alles möglich ist und es um nichts geht, wohingegen den tschechischen Schriftstellern, die ich in Prag getroffen habe, nichts möglich ist und es um alles geht.« Was auf Polizeistaaten und sowjetische Tyrannei zutraf, galt auch für lateinamerikanische Diktaturen und den neuen theokratischen Faschismus, der ihm und zahlreichen anderen Schriftstellern zusetzte. Doch in den Vereinigten Staaten, in der freisinnigen, wiewohl dünnen Luft von Boulder, Colorado, war es nicht leicht, den Leuten die gelebte Wirklichkeit der Unterdrückung zu vermitteln. Er habe es sich zur Aufgabe gemacht, sagte er, der Welt, in der ›alles möglich ist und es um nichts geht‹, die Welt nahezubringen, in der ›nichts möglich ist und es um alles geht‹.
Der Präsident der CU Boulder musste sich persönlich dafür starkmachen, dass sich eine andere Fluglinie bereit erklärte, ihn nach Hause zu fliegen. Als er mit seinem Vortrag fertig war, wurden Elizabeth und er umgehend zum Flughafen Denver zurückgefahren und in ein Flugzeug nach London gesetzt. Der Polizeieinsatz war nicht ganz so chaotisch wie bei ihrer Ankunft, aber dennoch groß genug, um jedem Umstehenden einen Schrecken einzujagen. Er verließ Amerika mit dem Gefühl, dass die Kampagne einen Rückschritt erlitten hatte.
*
Der Terror klopfte an viele Türen. In Ägypten war der führende Säkularist Faradsch Fouda erschossen worden. In Indien war der Rektor der Jamia-Millia-Islamia-Universität in Delhi, der bedeutende Historiker Mushirul Hasan, von ›zornigen Muslimen‹ bedroht worden, weil er es gewagt hatte, das Verbot von Die s atanischen Verse zu kritisieren. Nicht nur musste er seine Aussage zurücknehmen und das Buch verfemen, der Mob nötigte ihn außerdem, die Fatwagutzuheißen. Er weigerte sich. Fünf lange Jahre durfte er nicht an seine Universität zurückkehren. In Berlin wurden vier kurdische Oppositionspolitiker, die zu Gast bei der Sozialistischen Internationale waren, im Restaurant Mykonos ermordet. Mutmaßlicher Auftraggeber war das iranische Regime. Und in London lagen er und Elizabeth gerade schlafend im Bett, als eine ohrenbetäubende Explosion das Haus erzittern ließ. Polizisten stürmten mit erhobenen Waffen ins Zimmer und rissen sie auf den Boden. Gefühlte Stunden kauerten sie zwischen bewaffneten Männern bäuchlings auf der Erde, bis sich herausstellte, dass sich die Explosion ein Stück weiter weg am Kreisverkehr Staples Corner unter der Überführung zur North Circular Road ereignet hatte. Ein Werk der Provisional IRA ; hatte nichts mit ihnen zu tun. Eine nicht-islamische Bombe. Sie konnten wieder in ihre Betten gehen.
Der islamische Terror war nicht weit weg. Ayatollah
Weitere Kostenlose Bücher