Joseph Anton
wachsen. Sogar die Fluglinien hatten moralische Prinzipien und beförderten ihn anstandslos. Die Welt war ein merkwürdiger Ort: In seiner dunkelsten Stunde fand ein Junge aus den Tropen die stärksten Verbündeten im eisigen Norden – auch wenn die Dänen sich um ihren Käse sorgten. Dänemark exportierte große Mengen Fetakäse in den Iran, und es stand zu befürchten, der Käsehandel könnte leiden, wenn herauskäme, dass es mit dem abtrünnigen, ketzerischen Gotteslästerer auf Schmusekurs ging. Die dänische Regierung musste sich zwischen Käse und Menschenrechten entscheiden und entschied zunächst für den Käse. (Es hieß, die britische Regierung habe darauf gedrängt, ihn nicht zu treffen. Ian McEwans holländischer Verleger Jaco Groot hatte gehört, die Briten würden ihre europäischen Kollegen ersuchen, sie durch ›allzu öffentliche Solidaritätsbekundungen‹ nicht in ›Verlegenheit‹ zu bringen.)
Er fuhr dennoch, als Gast des dänischen P.E.N.-Clubs. Elizabeth flog mit Carmel einen Tag früher, und dann wurde er durch einen Sicherheitszugang in den Flughafen Heathrow geschleust, aufs Rollfeld gefahren und als letzter Passagier ins Flugzeug gesetzt. Er hatte befürchtet, die anderen Fluggäste könnten bei seinem Anblick in Panik geraten, doch es waren fast ausschließlich Dänen an Bord, die ihn mit breitem Lächeln, Händeschütteln und aufrichtiger unerschrockener Freude begrüßten. Als sich das Flugzeug von der Startbahn löste, dachte er: Vielleicht kann auch ich wieder fliegen. Vielleicht wird alles gut.
Das Empfangskomitee am Kopenhagener Flughafen verpasste ihn irgendwie. Offenbar war er doch weniger leicht zu erkennen als gedacht. Er schlenderte durch den Flughafen, ging an der Sicherheitssperre vorbei und brachte eine knappe halbe Stunde damit zu, in der Ankunftshalle nach jemandem Ausschau zu halten, der ihm sagen konnte, was los war. Dreißig Minuten lang war er dem Sicherheitsnetz durch die Maschen gegangen. Er war kurz davor, in ein Taxi zu springen und einfach abzuhauen. Doch schon hasteten ihm die Polizei und sein Gastgeber Niels Barfoed vom dänischen P.E.N. entgegen, der sich schnaufend und keuchend für das Durcheinander entschuldigte. Sie gingen zu den wartenden Wagen, und das Netz zog sich wieder zusammen.
Seine Teilnahme – und das blieb eine ganze Weile ›Usus‹ – war nicht vorher angekündigt worden. Die im Louisiana Museum für Moderne Kunst versammelten P.E.N.-Mitglieder erwarteten Günter Grass als Ehrengast, der tatsächlich dort war; Grass war einer der großen Literaten, die sich in jenen Jahren bereit erklärten, als sein ›Strohmann‹ zu fungieren. »Wenn Salman Rushdie eine Geisel ist, dann sind wir es auch«, kündigte Grass ihn an, und dann war er an der Reihe. Einige Wochen zuvor, sagte er, hätten fünfzig iranische Intellektuelle eine Verteidigungsschrift veröffentlicht. »Rushdie zu verteidigen bedeutet, uns selbst zu verteidigen«, hieß es darin. Ergebe man sich der Fatwa, leiste man autoritären Regimen Vorschub. Hier müsse die Grenze gezogen werden, es gebe kein Zurück. Dies war nicht nur sein Kampf, sondern auch der seiner Schriftstellerkollegen. Die sechsundfünfzig dänischen Intellektuellen, die im Louisiana zusammengekommen waren, gelobten, sich seinem Kampf anzuschließen und auf ihre Regie rung einzuwirken. »Wenn die britische Regierung nicht in der Lage ist, Irans untragbarer Bedrohung des demokratischen Fortschritts entgegenzutreten, muss das Verteidigungskomitee die Hilfe und Unterstützung wahrnehmen, die Europa ihm angeboten hat«, sagte Frances D’Souza.
Jenseits der Museumsfenster fuhr ein Kriegsschiff vorbei. »Ist das meinetwegen?«, witzelte er. Doch es war tatsächlich für ihn: sein persönliches Kriegsschiff, das ihn vor Seeangriffen schützen und nach islamischen Froschmännern Ausschau halten sollte, die mit Entersäbeln zwischen den Zähnen auf das Museum zuschwammen. Es war an alles gedacht worden. Die Dänen waren ein wirklich gewissenhaftes Volk.
Sein norwegischer Verleger William Nygaard vom Aschehoug-Verlag bestand darauf, dass er nach seinem Dänemark-Aufenthalt nach Norwegen weiterreiste. »Ich glaube, hier können wir noch mehr bewegen«, sagte er. Regierungsminister seien zu einem Treffen mit ihm bereit. Jeden Sommer veranstaltete der Aschebourg-Verlag eine riesige Gartenparty in der wunderschönen alten Villa im Drammensveien 99, die Anfang des letzten Jahrhunderts der Nygaard’sche Familiensitz gewesen
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