Joseph Anton
Akbar den Großen schreiben, der sich um Frieden zwischen den zahlreichen indischen Göttern und deren Anhängern bemühte, und das eine Zeitlang sogar mit Erfolg.
Indien hatte ihm die tiefsten Wunden geschlagen. Es sei völlig undenkbar, dass er ein Besuchsvisum für das Land bekomme, das ihm Heimat und größte Inspirationsquelle war, hieß es. Nicht einmal im indischen Kulturzentrum in London wollte man ihn sehen, seine Gegenwart würde als antiislamisch gewertet werden und dem welt li chen Ruf des Zentrums schaden, so dessen Leiter Gopal Gandhi (Enkel von Mahatma). Mit geballten Fäusten machte er sich wieder an die Arbeit. Des Mauren letzter Seufzer war so weltlich, wie ein Roman nur sein konnte, doch in dem Land, über das er schrieb, galt er als aufrührerischer Sektierer. Die Wolken über seinem Kopf wurden schwärzer. Doch seine Sturheit war dem Schmerz ebenbürtig, sein Erzählvermögen unvermindert, seine Vorstellungskraft noch immer lebendig. Er würde nicht zulassen, dass seine Kunst an der Zurückweisung zerbrach.
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Es blieb ihm nichts anderes übrig, als eine Art Botschafter seiner selbst zu werden. Doch Politik fiel ihm nicht leicht. Er hielt seine Reden und stritt für seine Sache und mahnte die Würdenträger der Welt, gegen diesen neuen ›ferngesteuerten Terrorismus‹, diesen tödlichen Fingerzeig quer durch die Welt – Der da, seht ihr den? Tötet ihn, den Glatz kopf mit dem Buch in der Hand –, Stellung zu beziehen und zu be greifen, dass der Fatwa - Terrorismus besiegt werden musste, sollte er sich nicht wiederholen. Doch selbst in seinen Ohren klang all das manchmal schal. Nachdem er bei einer Versammlung des Nordischen Rates in Finnland gesprochen hatte, wurden Beschlüsse gefasst, Unterkomitees gegründet, Hilfsversprechen gemacht; dennoch wurde er das Gefühl nicht los, dass nichts Wesentliches erreicht worden war. Die Schönheit der Herbstwälder vor dem Fenster war erfreulicher. Er durfte sogar mit Elizabeth darin spazieren gehen, die klare Luft atmen und für einen kurzen Moment zur Ruhe kommen; in diesem Augenblick war das ein größeres Geschenk als alle Beschlüsse der Welt.
Elizabeths behutsamer Zuspruch ließ seine Enttäuschung schwinden. Er finde seine Stimme wieder, meinte sie, und sein Fehler ver blasse mit der Zeit, auch wenn er ihn noch jahrelang widerrufen müsse. Man hörte ihm aufrichtig zu, und nach den üblen Anfeindungen seiner Person und seiner Arbeit tat das zweifellos gut. Allmählich bekam er in der Verfechtung seiner Sache Übung. In der finstersten Ära des sowjetischen Kommunismus, argumentierte er, hatten westliche Marxisten versucht, eine Grenze zwischen dem ›real existierenden Sozialismus‹ und der Marx’schen Vision von Gleichheit und Gerechtigkeit zu ziehen. Doch als die Sowjetunion zusammenbrach und klar wurde, dass der ›real existierende Sozialismus‹ den Marxismus in den Augen all derer, die zum Sturz der Despoten beigetragen hatten, unwiederbringlich verseucht hatte, war der Glaube an eine reine, unbefleckte Vision nicht mehr möglich. Heute, da islamische Staaten neue Gewaltherrschaften hervorbrachten und Gräueltaten mit Gottes Namen rechtfertigten, zogen die Muslime eine ähnliche Grenze; auf der einen Seite stand der ›real existierende Islam‹ blutiger Gottesstaaten und auf der anderen der wahre Glaube von Frieden und Liebe.
Daran hatte er schwer zu schlucken, und er versuchte, den Grund dafür in Worte zu fassen. Er konnte die Verteidiger der islamischen Kultur durchaus verstehen; die Zerstörung der Babri-Moschee hatte ihn ebenso geschmerzt wie sie. Auch die vielgestaltige Güte der islamischen Gesellschaft berührte ihn tief, ihre Mildtätigkeit, die Schönheit ihrer Architektur, Malerei und Dichtung, ihr Beitrag zu Philosophie und Wissenschaft, ihre Arabesken, ihre Mystiker und die milde Weisheit freigeistiger Muslime, wie sein Großvater mütterlicherseits, Dr. Ataullah Butt, sie besaß. Dr. Butt aus Aligarh war Hausarzt und zudem am Tibbya College der Muslim-Universität in Aligarh tätig, wo westliche Medizin ebenso gelehrt wurde wie traditionelle indische Kräuterheilkunde. Er war nach Mekka gepilgert, sprach sein Leben lang fünfmal am Tag seine Gebete und war einer der tolerantesten Menschen, dem sein Enkel je begegnet war, auf schroffe Art gutmütig, offen für jedweden kindlichen oder jugendlichen Trotzgedanken, sogar für den, dass es Gott gar nicht gibt, eine idiotische Idee, wie er meinte, doch durchaus bedenkenswert.
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