Joseph Anton
türkische Regierung, das in Tokio stattfindende G7-Treffen, die ganze Welt zum Handeln aufzufordern. Ausgerechnet in The Nation erschien ein boshafter Artikel, der ihn des ›niederträchtigen Missbrauchs‹ türkischer Säkularisten anzuklagen versuchte (verfasst von Alexander Cockburn, einem modernen Großmeister für niederträchtigen Missbrauch), doch auch das spielte keine Rolle. Aziz Nesin und der Autor, dessen Werk er bestohlen und verunglimpft hatte, würden niemals Freunde werden, doch angesichts eines solchen Angriffes stand er mit den türkischen Säkularisten einschließlich Nesin Schulter an Schulter.
In der iranischen Majlis und in der Presse des Landes ernteten die Mörder von Sivas natürlich Applaus. So war diese Welt: Sie applaudierte Mördern und schmähte Menschen, die vom Wort lebten (und manchmal dadurch starben).
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Entsetzt über die Gräueltaten von Sivas, nahm der berühmte deutsche ›Undercover-Journalist‹ Günter Wallraff, der in seinem äußerst erfolgreichen Buch Ganz unten in der Rolle eines türkischen Gastarbeiters die schreckliche Behandlung dieser Arbeiter durch deutsche Rassisten und den deutschen Staat selbst bloßgestellt hatte, Kontakt mit ihm auf und bestand darauf, dass das Nesin-Rushdie-›Missverständnis‹ aus der Welt geschafft werden müsse. In Interviews hatte Nesin den Autor von Die satanischen Verse und dessen ›grauenhaftes Buch‹ unvermindert angegriffen, und Wallraff und Arne Ruth, der Herausgeber der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter hatten nach Kräften versucht, ihn davon abzuhalten. »Wenn ich Nesin dazu bringen kann, mich zu besuchen, würden Sie dann bitte auch kommen, damit wir diese Sache beilegen können?«, fragte Wallraff. Er entgegnete, das hänge davon ab, welche Einstellung Nesin zu einem solchen Treffen habe. »Bisher hat er sich nur beleidigend und abfällig geäußert, und das macht es mir schwer, ihn zu treffen.« – »Überlassen Sie das mir«, sagte Wallraff. »Wenn er zusagt, positiv an die Sache ranzugehen, werden Sie es dann auch tun?« – »Ja, in Ordnung.«
Er flog von Biggin Hill nach Köln, der großartige Journalist und seine Frau hießen ihn lautstark und herzlich willkommen, und Günter bestand sofort darauf, mit ihm Tischtennis zu spielen. Wallraff erwies sich als ein guter Spieler und gewann fast immer. Aziz Nesin, ein kleiner, untersetzter, weißhaariger Mann, blieb der Tischtennisplatte fern. Ihm war anzusehen, dass er ein arg gebeutelter Mensch war, der sich in der gegenwärtigen Gesellschaft unwohl fühlte und lieber brütend in der Ecke saß. Sonderlich vielversprechend war das nicht. Während ihres ersten, steifen Wortwechsels mit Wallraff als Dolmetscher hatte Nesin die gleiche Geringschätzigkeit wie in Aydinlik an den Tag gelegt. Er führte seinen eigenen Kampf gegen türkischen Fanatismus, was also ging ihn dieser hier an. Wallraff erklärte, es handele sich um denselben Kampf. Nach dem Mord an U ˘ g ur Mumcu hatte es in der Türkei geheißen, »wer Salman Rushdie verurteilt hat, hat jetzt Mumcu umgebracht«. Verlor man eine Schlacht zwischen Säkularismus und Religion, verlor man auf ganzer Linie. »Salman hat Sie in der Vergangenheit unterstützt, und er hat sich überall zu Sivas geäußert«, sagte er, »also müssen Sie ihn jetzt unterstützen.« Es wurde ein langer Tag. Nesins Eitelkeit schien einer Versöhnung im Weg zu stehen, denn dazu hätte er sich zu einem Eingeständnis seiner Querköpfigkeit herablassen müssen. Doch Wallraff war zu einem guten Ende entschlossen, und schließlich streckte Nesin grummelnd seine Hand aus. Ein kurzer Handschlag, gefolgt von einer noch kürzeren Umarmung und einem Foto, auf dem jeder ein verstörtes Gesicht machte, und dann rief Wallraff: »Wunderbar! Jetzt sind wir alle Freunde!«, und nahm sie auf eine Motorboottour auf dem Rhein mit.
Wallraffs Leute hatten alles gefilmt und einen Nachrichtenbeitrag zusammengeschnitten, in dem sich Nesin und er solidarisch gegen religiösen Fanatismus und die Untätigkeit des Westens aussprachen. Zumindest nach außen hin war der Riss gekittet. Aziz Nesin und er hatten keinen weiteren Kontakt. Nesin lebte noch zwei Jahre, ehe ein Herzinfarkt ihn dahinraffte.
Lieber Harold,
danke, dass Du es Elizabeth, mir und den Jungs ermöglicht hast, Deine Inszenierung von Mamets Oleanna zu sehen, und auch für das anschließende Abendessen im Grill St. Quentin. Vielleicht war es ein Fehler von mir, meine Vorbehalte gegen das Stück zu
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