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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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dem Aschehoug-Gartenfest im Jahr zuvor denken. Die ganze Zeit hatte Williams Hand auf seiner Schulter geruht, während er ihn durch die überraschte Menge geleitete und ihn einem Erzähler hier, einem Opernsänger da, einem Geschäftsmann oder einem Politiker dort vorstellte. Eine Geste der Freiheit hatte William gesagt, und nun lag er deshalb dem Tod auf der Schippe. Doch weil er den kaputten Reifen nicht selbst hatte wechseln wollen und weil die Kugeln seine Organe auf wundersame Weise verschont hatten, überlebte er. Es kam der Tag, an dem der verwundete Verleger wieder in der Lage war, mit ihm zu telefonieren. Sein Kollege Halfdan Freihow vom Aschehoug-Verlag rief Carmel an und sagte, William wolle unbedingt mit Salman sprechen, ob der ihn im Krankenhaus anrufen könne. Selbstverständlich. Ein Pfleger nahm ab und warnte ihn vor, Williams Stimme sei sehr schwach. Dann war William am Apparat, und trotz Vorwarnung war es ein Schock, zu hören, wie matt er klang. Er rang nach Luft, sein sonst so makelloses Englisch versagte, jede Silbe war eine Qual.
    Zunächst habe er gar nicht begriffen, dass auf ihn geschossen worden war, bis zum Eintreffen der Polizei sei er bei Bewusstsein geblieben und habe ihr die Nummer seines Sohnes gegeben. »Ich habe gebrüllt wie am Spieß«, sagte er, »und bin einen kleinen Abhang hinuntergekugelt, und das hat mich wohl gerettet, weil ich aus der Schusslinie war.« Er würde lange im Krankenhaus bleiben müssen, aber, röchelte er, eine vollständige Genesung sei tatsächlich möglich. »Sämtliche Organe sind verschont geblieben.« Dann sagte er: »Ich will nur, dass du weißt, wie stolz ich bin, der Verleger von Die satanischen Verse zu sein und einen Beitrag zu leisten. Vielleicht werde ich jetzt so leben müssen wie du, bis sie den Kerl schnappen.« Es tut mir so leid, Wil liam, du musst wissen, dass ich mich dafür verantwortlich fühle … William fiel ihm ins Wort und sagte matt: »Sag das nicht. Es ist nicht recht, dass du das sagst.« Aber wie kann ich mich nicht … »Weißt du, Salman, ich bin ein erwachsener Mensch, und als ich mich dazu entschlossen habe, Die satanischen Verse zu verlegen, wusste ich um das Risiko und habe es in Kauf genommen. Es ist nicht deine Schuld. Schuld hat der, der auf mich geschossen hat.« Ja, aber ich … »Noch etwas. Ich habe gerade eine große Nachauflage veranlasst.« ›Würde unter Druck‹ hatte Hemingway das genannt. Wahre Courage, gepaart mit hehren Prinzipien. Eine Verbindung, die eine Kugel nicht zerstören konnte. Und es waren höllische Geschosse gewesen: .44 Magnum, Teilmantel, im Allgemeinen tödlich.
    Die skandinavische Presse war wegen des Nygaard-Attentats in Aufruhr. Der norwegische Verlegerverband wollte wissen, welche Antwort die norwegische Regierung für den Iran bereithielt. Und ein ehemaliger iranischer Botschafter, der sich der Oppositionsbewegung Modschahedin-e Chalgh angeschlossen hatte, verkündete, er habe der norwegischen Polizei schon vor Monaten gesagt, dass ein Anschlag auf William geplant sei.
    Die Regierungen der nordischen Länder waren verärgert, doch die Bevölkerung war durch das Attentat verschreckt. Das niederländische Kultusministerium hatte ihn nach Amsterdam einladen wollen und machte jetzt einen Rückzieher, ebenso wie die KLM . Das vor Monaten vereinbarte Treffen mit dem Europarat wurde abgesagt. Der Anführer der ›Rushdie-Kampagne‹ in Schweden, Gabi Gleichmann – mit dem Carmel Bedford ständig über Kreuz lag –, war unter Polizeischutz gestellt worden. In Großbritannien gingen die Angriffe ad hominem weiter. In einem Artikel des Evening Standard wurde er als ›selbstgefällig‹ und ›durchgedreht‹ bezeichnet und für sein Lechzen nach Aufmerksamkeit, die er bei seiner Stümperhaftigkeit gar nicht verdiene, verhöhnt. Der Londoner Radiosender LBC führte eine Umfrage unter den Hörern durch, ob ›wir Rushdie noch länger ertragen sollten‹, und im Telegraph erschien ein Interview mit Marianne Wiggins, die ihren Ex-Mann »larmoyant, töricht, feige, eitel, lächerlich und moralisch zweifelhaft« nannte. Clive Bradley vom britischen Verlegerverband sagte, Trevor Glover von Penguin UK verhindere ein Statement zu dem Attentat auf William. Er rief Glover an, der zunächst behauptete, das stimme nicht, es habe sich lediglich um ein ›kleines Schwätzchen‹ gehandelt – aber »Mensch, wir sind gerade alle ein bisschen dünnhäutig, sollten wir da noch öffentlich Krach schlagen?« –,

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