Joseph Anton
versprach, der Rat werde sich seines Falles annehmen. An dem Abend wurde zu Ehren der angereisten Schriftsteller ein Fest veranstaltet, und er wurde von einer hitzigen Iranerin namens Hélène Kafi gerüffelt, weil er mit dem Modschahedin-e Chalg nicht an einem Strang ziehe. »Halten Sie mich nicht für aggressiv, Salman Rushdie, aber je suis un peu deçue de vous , Sie sollten wissen, wer Ihre wahren Freunde sind.« Am nächsten Tag behauptete sie in den Medien, sie und mit ihr die Modschahedin-e Chalgh seien dem französischen ›Rushdie-Komitee‹ beigetreten, deshalb seien Granaten auf die französische Botschaft und die Air-France-Niederlassung in Teheran geworfen worden. (Der eigentliche Grund war die Entscheidung Frankreichs, der Anführerin der Volksmudschahidin Asyl zu gewähren. Die ›Rushdie-Affäre‹ hatte nichts damit zu tun.)
Er saß mit Toni Morrison, die gerade den Nobelpreis gewonnen hatte, und Susan Sontag auf einem kleinen roten Sofa. »Mein Gott«, rief Susan, »ich sitze zwischen den beiden berühmtesten Schriftstellern der Welt!«, und er und Toni beschwichtigten sie, ihr großer Tag in Stockholm sei gewiss nicht mehr fern. Susan fragte, woran er gerade schreibe. Sie hatte ihren Finger in seine schmerzlichste Wunde gelegt. Die Arbeit an der Anti-Fatwa - Kampagne hatte seine Schriftstellerei fast völlig zum Erliegen gebracht. Dies war der ernüchternde Effekt der Politik. Seine Gedanken wimmelten von Fluglinien und Ministern und Fetakäse und hatten sich der süßen Zuflucht des Geistes entzogen, welche die Dichtung barg. Sein Roman kam nicht voran. Hatte diese angeblich so erfolgreiche Kampagne letztlich nur den Effekt, ihn in den Augen der Welt und vor sich selbst zu degradieren? War er gerade dabei, sich von seinem Anspruch an die Kunst zu verabschieden und sich zu der platten, zweidimensionalen Karikatur zu machen, die der ›Rushdie-Affäre‹ zugrunde lag? Er hatte sich von Salman in Rushdie und Joseph Anton verwandelt und lief nun Gefahr, sich zu einem Niemand zu machen. Er war ein Lobbyist, der Lobbyarbeit für eine Leerstelle betrieb, an der einst ein Mensch gestanden hatte.
»Ich habe mir geschworen, dass ich nächstes Jahr zu Hause bleibe und schreibe«, sagte er zu Susan.
*
Um den Gipfel – ein Treffen mit dem Präsidenten – zu erreichen, musste man sich ihm von vielen Seiten zugleich nähern. Die Besteigung des Mount Clinton war von ihm selbst, dem Rushdie-Verteidigungskomitee und Artikel 19, dem britischen Botschafter in Washington im Namen der britischen Regierung und dem amerikanischen P.E.N.-Zentrum vorbereitet worden. Aryeh Neier von Human Rights Watch, Nick Veliotes vom amerikanischen Verlegerverband und Scott Armstrong vom Freedom Forum setzten sich für das Treffen ein. Zusätzlich hatte Christopher Hitchens seine Kontakte ins Weiße Haus spielen lassen. Christopher war zwar kein Bewunderer Clintons, hatte aber einen guten Draht zu dessen engem Berater George Stephanopoulos, mit dem er mehrmals sprach. Offenbar teilten sich Clintons Leute in diejenigen, die ihm sagten, die Fatwa gehe Amerika nichts an, und in die – und zu denen gehörte Stephanopoulos –, die wollten, dass er das Richtige tat.
Zwei Tage nach seiner Rückkehr nach London gab es »grünes Licht« aus Washington. Zuerst wurde Nick Veliotes gesagt, der Präsident werde an dem Treffen nicht teilnehmen. Der nationale Sicherheitsberater Anthony Lake würde da sein und Vizepräsident Gore würde ›hereinschauen‹. Sein Kontaktmann bei der Amerikanischen Botschaft am Grosvenor Square, Larry Robinson, bestätigte, dass es ein Treffen mit Lake und Gore geben solle. Er erhalte ›Tür-zu-Tür-Schutz‹, also vom Flugzeug zum Massachusetts Institute of Technology (wo er geehrt werden sollte – Alan Lightman, der Autor von Und immer wieder die Zeit , der am MIT lehrte, hatte ihn angerufen und ihm die Ehrendoktorwürde angeboten) –, vom MIT nach D. C. und in D. C., bis er das Land wieder verließ. Zwei Tage später teilte man Frances mit, Gore sei im Nahen Osten und Lake womöglich verhindert, weshalb Außenminister Warren Christopher und Lakes ›Nummer zwei‹ zum Treffen erscheinen würden. Die Begeg nung würde im Beisein von Fotografen im Treaty Room stattfinden. Er sprach mit Christopher Hitchens, der fürchtete, Clinton versuche ›zu kneifen‹. Am selben Abend gab es eine abermalige Änderung. Das Treffen würde mit Anthony Lake und Warren Christoper sowie dem stellvertretenden Staatssekretär
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