Joseph Anton
und schließlich einwilligte, Bradley anzurufen und das Penguin-Veto zurückzuziehen.
Er erhielt einen Drohbrief, den ersten seit langem, in dem stand, »die Zeit ist nah«, denn »Allah sieht alles«.
Der Brief war von D. Ali von der ›Sozialistischen Arbeiterpartei Manchester und der Anti-Rassismus-Liga‹ unterzeichnet. Deren Mitglieder hätten sämtliche Flughäfen im Auge, sagte er, und seien überall unterwegs – Liverpool, Bradford, Hampstead, Kensigton –, und weil die winterliche Dunkelheit »ihrer Arbeit entgegenkomme«, werde er bald wieder »im Iran sein«.
Als er eines Abends mit Martin Amis, James Fenton und Darryl Pinckney bei Isabel Fonseca zusammensaß, erzählte Martin ihm zu seinem Kummer, George Steiner glaube, er »habe es auf den gan zen Ärger abgesehen«, und Martins Vater Kingsley Amis habe gesagt, »wenn man es auf Ärger anlegt, sollte man sich nicht beschweren, wenn man ihn kriegt«, und Al Alvarez meinte, er habe es getan, »weil er der berühmteste Schriftsteller der Welt werden wollte«. Und Germaine Greer halte ihn für ›megaloman‹, und John le Carré habe ihn eine ›Pfeife‹ genannt und Martins Ex-Stiefmutter Elizabeth Jane Woward und Sybille Bedford glaubten, er habe es ›wegen des Geldes‹ getan. Seine Freunde machten sich über diese Äußerungen lustig, doch am Ende des Abends lagen seine Nerven ziemlich blank, und nur Elizabeths Liebe konnte ihn beruhigen. Vielleicht sollten sie heiraten, schrieb er in sein Tagebuch. Wer konnte ihn mehr lieben, tapferer, sanftmütiger und selbstloser sein? Sie hatte sich ihm verschrieben, und dies war das Mindeste, was er ihr zurückgeben konnte. Zu Hause feierten sie ihr erstes Jahr in der Bishop’s Avenue mit einem zärtlichen Abend, und er fühlte sich besser.
Wenn er in Beckett’scher Stimmung über seinem hölzernen Schreibtisch hockte, war er ein einsamer Mann, umgeben von höhnischer Leere: Didi und Gogo in einem, die gegen die Verzweiflung anspielten. Nein, er war ihre Antithese; sie hofften auf Godot, er hingegen wartete auf etwas, von dem er hoffte, dass es niemals eintreten würde. Fast jeden Tag kam es vor, dass er seine Schultern sinken ließ und wieder hochriss. Er aß zu viel, hörte auf zu rauchen, keuchte, rang mit der leeren Luft, presste die Fäuste gegen die Schläfen und dachte nach, als brennte in seinem Kopf ein Feuer, als könnte das Denken all seine Leiden verbrennen. Fast jeder Tag war so: ein Kampf gegen die Hoffnungslosigkeit, den er häufig, aber nie endgültig verlor. »In jedem von uns«, hatte José Saramago geschrieben, »ist etwas, was keinen Namen trägt, und dieses Etwas ist das, was wir sind.« Dieses namenlose Etwas kam ihm am Ende immer zu Hilfe. Er biss die Zähne zusammen, schüttelte den Kopf, um wieder klarzusehen, und wappnete sich für den weiteren Weg.
William Nygaard machte seine ersten Schritte. Halfdan Freihow sagte, William wolle umziehen, wegen der »tückischen Büsche«, die ihn davon abhielten, »nachts noch mal in den Garten zu pinkeln«. Man werde ihm eine Wohnung in einem Hochsicherheitsgebäude suchen. Der Heckenschütze war nicht gefasst worden. William hatte nichts, »auf das er seine Wut richten konnte«. Doch er machte Fortschritte. Sein dänischer Verleger Johannes Riis sagte, in Dänemark sei alles ruhig, und er habe »das Glück, eine gelassene Frau zu haben«. Eine Straße zu überqueren sei genauso gefährlich. Wieder versetzte wahre Courage den Autor in Demut. »Ich bin einfach fassungslos, dass diese Schweinerei noch immer Teil der Welt ist, in der wir leben«, meinte Johannes.
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Bei der ersten Versammlung des Internationalen Schriftstellerparlaments in Straßburg hatte er Bedenken wegen des Namens, doch die Franzosen meinten achselzuckend, in Frankreich sei un parlement lediglich ein Ort, an dem Menschen debattierten. Er bestand darauf, dass in der Verlautbarung gegen islamischen Terror auch auf Tahar Djaout, Faradsch Fouda, Aziz Nesin, U ˘ g ur Mumcu, auf die bangladeschische Schriftstellerin und neue Mitstreiterin Taslima Nasrin sowie auf ihn selbst verwiesen würde. Susan Sontag rauschte herein, umarmte ihn, sprach leidenschaftlich und in fließendem Französisch und nannte ihn un grand écrivain , der für ebenjene säkularisierte Kultur stehe, die muslimische Extremisten ersticken wollten. Die Bürgermeisterin von Straßburg, Catherine Trautmann, wollte ihm die Ehrenbürgerrechte verleihen. Catherine Lalumière, die Generalsekretärin des Europarats,
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