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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Unterredung mit dem Terminplaner des Präsidenten erfolgt … also … vielleicht. Daumen drücken.
    Am Nachmittag begleitete er Andrew Wylie zum Haus seiner Kindheit. »Wer sind all diese Leute da draußen?«, fragte die neue Besitzerin – eine mittelalte Lady namens Nancy mit einem breiten Lächeln –, als sie die Wagenkolonne sah. Dann sagte sie, »Oh«, ob er der sei, dem er ähnlich sehe. »Unglücklicherweise nicht«, entgegnete er. »Sie meinen, ›glücklicherweise‹. Dieser arme Mann hat kein besonders schönes Leben, meinen Sie nicht?« Doch weil sie all seine Bücher besaß, gab er sich zu erkennen, und sie war begeistert und bat ihn, sie zu signieren. Für Andrew war das Haus voller Erinnerungen, denn vieles darin war noch genau wie vor dreißig Jahren, selbst die Tapeten im Obergeschoss; die Buchstaben AW waren in die hölzernen Regale in der Bibliothek gekratzt, und an einem Türstock war die beschriftete Größenmarkierung des ein Meter kleinen Andy Wylie zu sehen.
    Im MIT aßen sie zusammen mit einem extrem schieläugigen Provost zu Abend, und dann war der große Moment gekommen. Diese Ehrendoktorwürde überwältigte ihn ein wenig, er hatte noch nie einen Ehrentitel erhalten. Man hatte ihm gesagt, das MIT sei mit Ehrendoktorwürden nicht gerade freigiebig, bisher sei diese Ehre nur einem andern zuteil geworden, und das war Winston Churchill. »Ziemlich edle Gesellschaft für einen Schreiberling, Rushdie«, sagte er zu sich. Die Veranstaltung war als Abend mit Susan Sontag deklariert worden, doch als Susan aufstand und das Wort ergriff, teilte sie dem Publikum mit, sie sei nur hier, um einen anderen Schriftsteller anzukündigen, dessen Name nicht im Voraus genannt werden könne. Sie redete herzlich über ihn und beschrieb seine Arbeit in einer Weise, die ihm mehr bedeutete als der Ehrentitel. Schließlich betrat er den Hörsaal durch eine kleine Hintertür, hielt eine kurze Ansprache und las dann Auszüge aus Mitternachtskinder und der ›Kolumbus und Isabella‹-Geschichte. Dann wurden er und Elizabeth eilig weggebracht und in eine Nachtmaschine nach Washington gesetzt. Einigermaßen erschöpft, kamen sie irgendwann nach Mitternacht in der Wohnung der Hitchens an. Es war das erste Mal, dass er Hitchs und Carols Tochter Laura Antonia sah, und er wurde gebeten, ›Nicht-Taufpate‹ zu werden. Er willigte sofort ein. Mit ihm und Martin Amis als gottlose Paten hatte das kleine Mädchen keine Chance, dachte er. Sein Hals kratzte, und ein scharfkantiger Zahn hatte ihm die Zunge wund geschnitten. Die letzten Neuigkeiten von der Clinton-Front waren nicht besser als ein Vielleicht. Hitch gestand, er könne Carmel nicht ausstehen, weil sie so ungeschickt sei und alles durcheinanderbringe. Es war Zeit, schlafen zu gehen, alles Weitere würden sie am Morgen besprechen.
    *
    Der Morgen begann mit einem Streit unter Freunden. Scott Armstrong kam vorbei, um zu sagen, dass das Weiße Haus beschlossen hatte, Clinton und Gore zurückzuziehen. »Netter Versuch, aber nein«, hatte man ihm gesagt. Carmel hatte eine ›kontraproduktive‹ Telefonlawine gestartet und auch Aryeh Neier und andere involviert. Als Carmel und Frances eintrafen, entlud sich die Spannung, und alle schrien einander an und schoben sich gegenseitig die Schuld zu. Frances behauptete, Scott habe alles verbockt. Schließlich musste er einen Waffenstillstand ausrufen. »Es geht hier um einiges, und ich brauche eure Hilfe.« Scott kümmerte sich darum, dass die anschließende Pressekonferenz im National Press Club stattfand, und damit war wenigstens etwas geregelt. Dann kochte der Streit erneut hoch. Wer würde ihn ins Weiße Haus begleiten? Er durfte nur eine Person mitbringen. Abermals wurde es laut und hitzig. Ich habe Soundso angerufen. Ich habe das und das gemacht. Andrew zog sich hastig aus dem Wettkampf zurück, und Christopher meinte, er müsse sowieso nicht zu den Auserwählten zählen, doch bei den NGO s blieben die Hörner gekreuzt.
    Wieder musste er schlichten. »Elizabeth wird mich begleiten. Und ich möchte, dass Frances mitkommt.« Mit langen, grimmigen Gesichtern verkrümelten sich die anderen in die Ecken von Christophers Wohnung oder suchten das Weite. Doch der Streit war beendet.
    Die Kolonne stand bereit, um ihn in die Pennsylvania Avenue 1600 zu bringen. Kaum saßen die drei in dem für sie vorgesehenen Wagen, überkam sie ein nervöser Kicheranfall. Sie überlegten, ob Clintons Verpflichtungen mit Tom dem Truthahn das Treffen am

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